Seite:Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie.pdf/223

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Der Schüler hatte bisher vor seiner Staffelei gesessen und ohne zu malen, ohne selbst nur etwas sehen zu können, mit zusammengezogenen Augenbrauen starr auf das, auf derselben ausgespannte halbvollendete Gemälde geblickt.

Bei diesen Worten Netschers aber wandte er sich unwillkürlich um, erhob sich sehr betroffen und schaute dem sonst so geliebten Meister mit einem großen Blicke in’s Auge.

Mynheer . . . sagte er stammelnd.

– Es ist gut, Aart; fuhr Netscher fort. Ich sehe, Dich trifft die Wahrheit meiner Worte. Vergiß Alles, mein Sohn, außer Deiner Kunst und etwa mir, Deinem Meister und Freunde. Das Gemüth eines Jünglings, der gleich Dir berufen ist, die glänzendste Höhe der Kunst zu erklimmen, muß stark genug sein, um den Gedanken an ein Mädchen, dafern er ihm irgend hemmend in den Weg treten will, als der Verfolgung unwürdig, unter die Füße zu treten.

– Ach ja, Mynheer Netscher, sagte Aart mit bebender Stimme, die Kraft fehlte mir nicht; das Alles würde ich spielend vermögen, wenn nur Eines geschehen könnte . . .

– Und was ist dieses?

– Gebt der Jakobäa andere Augen, gebt ihr einen anderen Mund, der nicht so zaubergleich zu lächeln und zu flüstern versteht; nehmt ihr die unvergleichliche Blüthe der Erscheinung und diese Grazie, welche noch nie vor der Phantasie eines Malers geschwebt . . . Thut das, Mynheer, und ich betheure Euch: dann wird mein Traum aus und mein Wahnsinn zu Ende sein!

Netscher blickte auf den Schüler, welcher mit hinreißendem Pathos gesprochen, und schüttelte mitleidig das Haupt.

– Du hast also noch immer Hoffnung? fragte er.

– Die unglücklichste Liebe ist am hoffnungsreichsten; flüsterte der Schüler.

– Aart! sprach Netscher mit stärkerem Tone; Floribert van Möllern ist Jakobäa’s de Thouens proclamirter Bräutigam.

– Unmöglich! rief Aart. Beweiset mir das!

– Floribert ist heute hier gewesen und hat mich aufgefordert, seine Braut zu malen.

– O, aber sie wird’s nicht wollen . . .

– Sie hing ja an seinem Arm, Verblendeter . . .

– Und was sagte denn sie . . . sie . . .? stammelte der junge Maler.

– Sie sagte: Mynheer, Ihr werdet mich also morgen malen, und ich werde mich bemühen, möglichst schön zu sein. Mynheer van Möllern hat mir gestern mein Brautkleid und meinen Hochzeitsschmuck geschenkt und da soll ich mich im vollen Staate malen lassen . . .

– Das ist ein Wunsch, wie er für diesen bäurischen Möllern eben sich schickt! murmelte Aart grimmig. Und weiter? fragte er fast abwesend.

– Ich bemerkte, fuhr Netscher fort, daß in dem Bilde besser eine Art von Situation anzubringen sei und da habe ich mit diesem kunstsinnigen Paare gestritten, bis es festgestellt wurde: Jakobäa solle vor dem Putztische sitzend gemalt werden; denn sie bestand darauf, daß die Schmucksachen, welche ihr geschenkt, nothwendig mit auf dem Bilde sein müßten . . . Bist Du jetzt überzeugt, daß der arme, obgleich kunstreiche Aart de Sluyner jeder Hoffnung auf die Hand dieser reichen Jakobäa entsagen muß:

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/223&oldid=- (Version vom 1.8.2018)