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im Jahre 1618 zu Sevilla geboren. Er erhielt die erste Anweisung zum Zeichnen von einem Verwandten, Juan del Castillo, und suchte sich, nur unvollkommen vorbereitet, selbst weiter auszubilden. Schon hierdurch legte er, obgleich er im Style der Florentiner, welcher damals in Spanien herrschte, arbeitete, den Grund zu der naturwahren Originalität, die uns vor seinen Werken fesselt. Murillos beabsichtigte, hingerissen von der Kunst Anton van Dyk’s, welcher damals in London wirkte, eine Reise nach England, um sich unter der Aegide dieses Meisters in Zeichnung und Colorit auszubilden; es traf jedoch die Nachricht von dem frühzeitigen Tode des großen Niederländers ein und Murillos begab sich nun im Jahre 1643 nach Madrid, um hier die Werke Van Dyk’s und diejenigen des Rubens, Tizian’s und Anderer zu studiren. Er copirte unter der Leitung seines berühmten Landsmannes und Freundes Velasquez viele Gemälde derselben, schloß sich aber in seinem Wirken an die breite, große Manier des Velasquez und des Ribera an. Aus dieser Periode stammen viele seiner Heiligenbilder, wodurch er sich bei seinen Studien Unterhalt verschaffte. Viele dieser Stücke gingen nach Amerika und auch sie verrathen schon die große Meisterschaft des Malers. Nach zwei Jahren kehrte Murillos nach Sevilla zurück, wo er nach vielen Anstrengungen 1660 eine Maler-Akademie gründete, welche sich sehr bald in Spanien und auch im Auslande Achtung verschaffte und von dem bedeutendsten Einflusse für den Aufschwung der spanischen Kunst wurde.

Von 1670–80 malte Murillos die acht großen Bilder der Werke der Barmherzigkeit. Sie waren für die Kirche des Hospitals San Jorge de la Caridad bestimmt. Die Aufträge des Klosters der Capuziner und der Kirche de los Venerables begeisterten Murillos zu ferneren großartigen Schöpfungen. Es sind diejenigen Gemälde, welche er in dieser Zeit schuf, seine ausgezeichnetsten: fast alle sechsundvierzig Bilder, welche die königliche Gallerie in Madrid von Murillos besitzt, entstanden während dieser Glanzperiode des Meisters.

Ebenfalls wurde damals das wunderbar schöne Gemälde welches eine der Hauptzierden der königlichen Gallerie zu Dresden ist, eine Madonna mit dem Kinde, von Murillos vollendet.

In dieser Madonna zeigt sich der Charakter des Genies des Murillos in seinem edelsten, reinsten Glanze. Zwar ist Murillos in seinen dem vollen, ächt nationellen Leben angehörenden Genrebildern, wie in dem berühmten Gemälde der beiden Betteljungen in der Münchner Pinakothek, von eigenthümlicher Poesie und er erreicht dadurch eine Wirkung, die, den Italienern unerreichbar, über das Genre eigentlich weit hinausgeht. Dennoch ist der durchweg edle Naturalismus Murillos’ selbst in Gemälden, wie das genannte, noch nicht auf die höchste Stufe gestellt, welche der Maler erreichen konnte. Diese Stufe ist in seiner Madonna wirklich erstiegen: es ist diejenige, wo der Naturalismus, die Charakteristik, zur Schönheit im wahren Sinne durchgedrungen ist. Bewirkt Murillos durch die edelste Klarheit seiner Formen das reinste Wohlgefallen, so fesselt er dagegen unwiderstehlich durch sein Colorit, durch die Harmonie seiner Tinten in welcher Kunst er die meisten Meister der italienischen Schule hinter sich zurückläßt. Durch diese Technik, welche, stets originell, den Beschauer fesselt, schleudert er in die Seele desselben dieselbe romantische Glut, die seine Werke fast ohne Ausnahme athmen. Diese Empfindung ergreift das Gemüth im hohen Grade vor seiner Madonna mit dem Jesuskinde . . . Sie ist irdisch wahr! aber dies irdische, der festen, lebenglühenden Erde angehörende Gefühl ist so edel menschlich, es entzückt uns so sehr, daß Menschen von vollendeter Bildung, sofern sie die heiße, ergreifende

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/138&oldid=- (Version vom 1.8.2018)