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standen sie im größten Jammer da. Auf einmal kam ein Hase daher gewackelt, als sei er auch blind. An dem Orte war aber ein Brünnlein, dahin ging der Hase, nahm seine Pfoten und wusch mit dem Wasser seine Augen. Darnach riß der Hase aus, so daß man daran merkte, daß er wieder sehen könne. Die Königstochter sagte darum zum Schneider, er solle auch zum Brünnlein und mit dem Wasser seine Augen auswaschen. Der Schneider aber traute ihr nicht ganz und meinte: „Ja, gelt du willst mich weg haben und hineinwerfen?“ „Nein, durchaus nicht! Gehe nur mit!“ sagte sie. Jetzt ging der Schneider mit, nahm seine Finger, tauchte sie in das Wasser, wusch seine Augen damit und sah dann wieder.

Sie gingen nun miteinander den Berg hinauf. Da kam ein Gewitter, das recht herabwarf, so daß ihre Kleider durch und durch weichten. Als sie beinahe den Berg droben waren, war da eine Felsenhöhle. Sie traten hinein. Innen brannte ein Feuer, daran trockneten sie sich. Es kam aber einer und fragte: „Schneider, wo meinst du, daß du bist?“ Der Schneider: „Ich bin halt in so einer Felsenhöhle“. Der andere: „Nein, du bist in der Hell. Warum bist du so dumm gewesen und hast deiner Mutter gesagt, wodurch du so stark geworden bist! Ich will dir dazu helfen, daß du deinen Ring wieder bekommst. Jetzt gehe hinaus; draußen steht ein Gaul. Du reitest hin an die Riesenburg und stellst dort den Gaul in den Stall. Deine Frau bleibt da, bis du wieder kommst. Du gehst in die Riesenburg und legst dich unter die Bettlade. Auf die Nacht werden deine Mutter und der Riese miteinander von der Jagd kommen, dann noch ein wenig Salat essen und sich hernach legen. Deine Mutter legt dabei den Ring auf den Tisch. Wenn sie beide schlafen, gehst du vor und holst ihn. Morgen früh kannst du dann sehen, wie sie zum Fenster hinausfliegen ohne Flügel“. – Der Schneider tat so, wie es ihm geheißen war. Früh vor Tags ging das Fenster auf, der Teufel kam und holte sie alle beide.

Dann setzte sich der Schneider wieder auf seinen Gaul und ritt zurück an die Felsenhöhle. Als er ankam, sagte der (Mann) dort: „Jetzt gehst du hinab, drunten stehen deine zwei Schiffe, das eine mit Geld, das andere mit Getreide, und fährst wieder gegen deine Heimat. Sei aber nicht mehr so dumm, daß du den Leuten sagst, durch was du stark bist.“ Der Schneider nahm seine Frau, seinen Ring und seinen Säbel mit und ging den Berg hinein. Als sie an das Wasser kamen, standen ihre zwei Schiffe wieder da. Sie fuhren dann gegen die Heimat zu. Der König aber wollte sie nicht mehr annehmen. Der Schneider aber fürchtete sich nicht und hieb des Königs Soldaten miteinander zusammen. Da hatte der König keine andere Wahl, er mußte sie annehmen.


Im Januar 1898 erzählt von Johann Lang, einem siebzigjährigen Greis zu Birkenfeld b. M. Er hörte das Märchen in seiner Jugend erzählen. Aufgeschrieben durch K. Spiegel, damals 2. Lehrer in Birkenfeld b. M. (Die hochdeutsche Übertragung der Erzählung schließt sich möglichst genau der Ausdrucksweise des Erzählers an.)

Empfohlene Zitierweise:
Karl Spiegel: Märchen aus Bayern. Selbstverlag des Vereins für bayrische Volkskunde und Mundartforschung, Würzburg 1914, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Spiegel_Maerchen_aus_Bayern.djvu/9&oldid=- (Version vom 1.8.2018)