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12. Die dankbaren Tiere.
Märchen-Bruchstück.
(Oberfranken: Schney, B.-A. Lichtenfels.)

Es war einmal eine Frau, die hatte drei Töchter; die hießen: Hulda, Maria und Venus. Da ging die erste, Hulda, nahm Abschied von der Mutter und zog in die Welt. Und die Mutter gab ihr mit ein Stück Brot, einen Hund und eine Katz’. Hulda wanderte weit, und als sie abends müde war, kam sie an eine Hütte und klopfte an. Eine alte Frau tat ihr auf und hieß sie eintreten und war gar sehr gut zu ihr. Sie durfte sich auf die warme Ofenbank legen und ausruhen. Hulda zog ihr Brot heraus und aß es ganz allein. Hund und Katz’ bekamen nichts. Als sie eine Zeit lang geruht hatte, kam auf einmal ein winzig kleines Männlein mit langem Bart und Haar auf sie zu und sagte:

„Bin ein Männlein spannenlang („Spanne lang“),
Hab’ nen Bart, drei Ellen lang.
Gib mir einen Kuß!“

Hulda fürchtete sich sehr und wußte nicht, was tun; da fragte sie ihre zwei Begleiter: „Hund und Katz’, was fang’ ich an?“ Aber die sagten miteinander: „Hast du uns vorhin verlassen, tun wir dich auch verlassen.“ Und Hilda gab dem Männchen keinen Kuß. Da zog es ein Haar aus seinem Bart und hieb damit auf die Jungfrau ein, bis sie tot war.

Die zweite der Töchter, die Maria, ging auch in die Welt und auch ihr gab die Mutter mit ein Stück Brot, einen Hund und eine Katz’. Der Maria ging es ebenso wie der Hulda. Auch sie kam an die Hütte und durfte auf der Ofenbank liegen und aß ihr Brot allein. Auch zu ihr rückte das kleine („krause“) Männlein heran und sagte:

„Bin ein Männlein spannenlang,
Hab’ nen Bart, drei Ellen lang.
Gib mir einen Kuß!“

Und Maria fragte: „Hund und Katz’, was fang ich an?“ Die sagten: „Hast du uns vorhin verlassen, tun wir dich auch verlassen.“ Die Maria küßte das Männchen nicht und das schlug mit dem Barthaar Maria tot.

Die dritte der Töchter, die Venus, zog ebenfalls aus und bekam gleich ihren zwei Schwestern ein Stück Brot, einen Hund und eine Katz’ mit. Es ging ihr gerade so wie den zwei Schwestern; aber als sie auf der Ofenbank saß, zog sie ihr Brot heraus und brach es in drei Stücke. Das eine aß sie selbst, das andere bekam der Hund und das dritte die Katze. Als nun das Männlein mit seiner Bitte kam, fragte Venus: „Hund und Katz’, was fang ich an?“ Und die beiden antworteten: „Hast du uns vorhin nicht verlassen, tun wir dich auch nicht verlassen; gib ihm einen Kuß!“ Darauf gab Venus dem Männlein den Kuß. Da führte das Männlein die Venus in ein prächtiges Schloß … (Schluß unbekannt!)


Aufgeschrieben durch Frau Pfarrer Schlier in Schney; dem Verein übergeben am 3. 3. 1899. (Urschrift.)

Empfohlene Zitierweise:
Karl Spiegel: Märchen aus Bayern. Selbstverlag des Vereins für bayrische Volkskunde und Mundartforschung, Würzburg 1914, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Spiegel_Maerchen_aus_Bayern.djvu/21&oldid=- (Version vom 1.8.2018)