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Staaten hatte ihm verehrungsvoll die Hand gedrückt, und der Kongreß hatte ihn mit außerordentlichen Ehrenbezeugungen empfangen. Da gab es pomphafte öffentliche Aufzüge und Paraden und Festessen ohne Ende. Aber die Regierung der Vereinigten Staaten, in Übereinstimmung mit der öffentlichen Meinung des Landes, hielt fest an der altherkömmlichen Politik der Nichteinmischung in europäische Angelegenheiten. Kossuths Appell um „substantielle Hülfe“ für sein unterdrücktes Vaterland war vergeblich. Als er nach England zurückkam, fand er, daß auch da der Volksenthusiasmus, der ihn vor nur wenigen Monaten umbraust hatte, ausgebrannt war. Er versuchte noch einmal, durch öffentliche Vorträge in verschiedenen Städten Englands das Interesse an Ungarns Schicksal wachzuhalten, und man hörte ihm mit hochachtungsvoller und sympathischer Aufmerksamkeit zu, wie man eben einem großen Redner lauscht, über was er auch immer sprechen mag. Wenn er auf den Straßen erschien, sammelte sich die Menge nicht mehr mit donnernden Hochrufen um ihn. Leute, die ihn erkannten, nahmen wohl den Hut ab und flüsterten einander zu: „Da geht Kossuth, der große ungarische Patriot.“ Die Sache der Unabhängigkeit seines Landes, seine Sache, schien tot und begraben zu sein.

Mazzini und Kossuth – wie sonderbar hat das Schicksal mit diesen beiden Männern gespielt! Mazzini hatte sein ganzes Leben hindurch konspiriert, gekämpft und gelitten für die Vereinigung seines Landes unter einer freien Nationalregierung. Wenige Jahre nach der Zeitperiode, von der ich spreche, kam diese nationale Einigung, zuerst teilweise befördert von dem Manne, den Mazzini am bittersten haßte, dem französischen Kaiser Louis Napoleon; und dann weiter geführt durch den wunderbaren Feldzug Garibaldis, den Mazzini selbst ursprünglich geplant haben soll, und dessen Geschichte klingt wie die eines romantischen Abenteuers zur Zeit der Kreuzzüge. Aber die nationale Einigung vollzog sich unter der Ägide der Dynastie von Savoyen; und der Republikaner Mazzini starb endlich unter einem falschen Namen in einem Versteck auf italienischem Boden wie ein Verbannter in seinem eigenen Lande, das seither dem Toten Denkmäler setzt.

Kossuth hatte mit seiner glühenden Beredsamkeit jahrelang agitiert und dann einen brillanten, aber unglücklichen Krieg geleitet für die nationale Unabhängigkeit Ungarns. Als ein geschlagener Mann ging er ins Exil. Im Laufe der Zeit wurde ein hoher Grad von politischer Autonomie, von Selbstregierung, ein Zustand, der das ungarische Volk zurzeit zu befriedigen schien, auf friedlichem Wege erreicht. Aber er wurde erreicht mit einem Habsburg auf dem Thron, und Kossuth, der sein Haupt nicht vor einem Habsburg neigen wollte, wies unbeugsam jede Einladung ab, die ihn in sein, ihn noch immer als Nationalhelden verehrendes Vaterland zurückrief; und so starb er in freiwilliger Verbannung in Turin, ein einsamer Greis.

Ein großes Maß dessen, für das diese beiden Männer gekämpft hatten, ging also endlich in Erfüllung; aber es war in einer Gestalt, in der sie es nicht als ihr eigenes Werk erkannten.

Die deutschen Revolutionäre von 1848 verfielen einem ähnlichen Schicksal. Sie kämpften für ein einiges Deutschland und freie

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s269.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)