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Zimmer hineinrief: „Margarete, komm doch einmal herein. Hier ist ein Herr, den du kennen lernen solltest.“ – „Es ist meine Schwägerin,“ setzte er zu mir gewendet hinzu. „Sie ist von Hamburg hierher zu Besuch gekommen.“

Ein Mädchen von etwa 18 Jahren trat herein, von stattlichem Wuchs mit schwarzem Lockenkopf, kindlich schönen Zügen und großen dunklen wahrhaftigen Augen.

Wir wurden in der Tat miteinander sehr gut bekannt – freilich nicht an jenem Tage – aber bald nachher; und am 6. Juli 1852 wurden wir in der Pfarrkirche von Marylebone in London fürs Leben vereinigt. Ich habe ausführlich aufgeschrieben, wie das alles sich zutrug. Aber dieser Teil meiner Geschichte gehört natürlich nur meinen Kindern und dem intimsten Freundeskreise.

Mitte August waren wir zur Abreise fertig. Kurz vor dem Tage des Abschiedes lud mich Mazzini noch einmal zu sich ein.

Als ich zum letztenmal bei ihm in seinem Zimmer saß, machte er noch einen Versuch, mich in Europa zurückzuhalten. Er vertraute mir das Geheimnis einer revolutionären Unternehmung an, die er im Werke habe, und die, wie er mir sagte, große Resultate versprechend, zur Ausführung gekommen sein müsse, ehe ich Amerika erreicht haben würde. Es handelte sich um eine Schilderhebung in der Lombardei. Mit seiner glühenden Beredsamkeit schilderte er mir, wie die italienischen Freiheitskämpfer die Österreicher in die Alpen zurückdrängen und wie dann ähnliche Bewegungen in andern Ländern des Kontinents sich an diesen siegreichen Aufstand anschließen würden. Dann seien es just solche junge Männer, wie ich, die zur Stelle sein müßten, um das so begonnene Werk fortführen zu helfen. „Wenn Sie gehen,“ sagte er, „wie werden Sie dann wünschen, nicht gegangen zu sein! Sie werden das nächste Schiff nehmen, um nach Europa zurückzueilen. Sparen Sie doch die unnötige Spazierfahrt!“ Ich mußte ihm gestehen, daß meine Hoffnungen nicht so sanguinisch seien wie die seinigen; daß ich in der Lage der Dinge auf dem Kontinent keine Aussicht auf baldige Veränderung finden könne, die mich zu einer ersprießlichen Tätigkeit in mein Vaterland zurückführen werde; daß wenn in entfernter Zukunft solche Veränderungen kämen, sie sich anders gestalten würden, als wir sie uns jetzt vorstellen möchten, und dann würde es andere Leute geben, um sie durchzuführen. So schieden wir voneinander, und ich habe ihn nicht wieder gesehen.

Einige Zeit nach meiner Ankunft in Amerika hörte ich denn auch von dem Ausbruch der von Mazzini angekündigten revolutionären Unternehmung. Sie bestand in einem Insurrektionsversuch in Mailand, den die Österreicher ohne große Mühe unterdrückten, und führte nur zur Einkerkerung einer ansehnlichen Zahl italienischer Patrioten. Und Mazzinis Sache, die Einigung Italiens unter einer freien Regierung, erschien hoffnungsloser als je.

Kossuth kehrte von Amerika zurück als ein schmerzlich enttäuschter Mann. Er war von dem amerikanischen Volk mit grenzenloser Begeisterung begrüßt worden. Zahllose Menschenmassen hatten seiner bezaubernden Beredsamkeit gelauscht und ihn mit Zeichen der Bewunderung und der Sympathie überhäuft. Der Präsident der Vereinigten

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s268.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)