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gegen Rußland und Österreich zugunsten Ungarns zu bewegen, einer ernüchternden Kritik nicht entgehen, und besonders mißlangen seine Versuche, in offiziellen Kreisen Fuß zu fassen und sich mit dem Ministerium Palmerston in vertrauliche Berührung zu bringen. In der Tat stand ihm in den Vereinigten Staaten dieselbe Erfahrung bevor: großer Enthusiasmus für seine Person und für die heldenmütigen Kämpfe seines Volks, aber dann nüchternes Erwägen der traditionellen Politik der Vereinigten Staaten und Abweisung des Versuchs, durch Einmischung in die Angelegenheiten der alten Welt in die Räder des Schicksals einzugreifen.

Ehe Kossuth seine agitatorische Tätigkeit in Amerika begann, kehrte Kinkel von dort zurück. Er hatte von der neuen Welt viel Gutes und Schönes zu erzählen, obgleich er sich gestehen mußte, daß der Erfolg seiner Mission ein sehr geringer war. Mit rüstigem Fleiß nahm er seine unterbrochene Lehrtätigkeit wieder auf, und mit ihm war auch der alte Sonnenschein in sein Haus zurückgekehrt.




Dreizehntes Kapitel.

Der Abschied von der alten Welt.

Im Herbst 1851 fand die Flüchtlingschaft, besonders die deutsche, einen gesellschaftlichen Sammelplatz im Salon einer geborenen Aristokratin, der Baronin Brüning, geborenen Prinzessin Lieven aus Deutschrußland. Sie war damals wenig über dreißig Jahre alt; nicht gerade schön, aber von offenem, angenehmem, gewinnendem Gesichtsausdruck und anmutigem Wesen, feinen Manieren und anregender Unterhaltungsgabe. Wie sie dazu gekommen war, trotz ihrer hochadligen Herkunft und gesellschaftlichen Stellung in die demokratische Strömung zu geraten, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hatten die Nachrichten von den Freiheitskämpfen im westlichen Europa, die über die russische Grenze drangen, ihre Einbildungskraft entflammt, und ihre lebhafte Natur war in unvorsichtigen Äußerungen gegen das despotische Regiment des Kaisers Nikolaus ausgebrochen. Kurz, sie hatte es in Rußland nicht mehr aushalten können, oder war gar genötigt gewesen, ihr Vaterland zu verlassen. Eine Zeitlang hatte sie dann in Deutschland und in der Schweiz gelebt und war mit verschiedenen demokratischen Führern bekannt geworden. Auch mit Frau Kinkel hatte sie korrespondiert und einen Beitrag zu dem Fonds geliefert, welcher bei Kinkels Befreiung zur Verwendung kam. Aber auf dem Kontinent glaubte sie sich überall von russischem Einfluß verfolgt, und wirklich machte die Polizei, in Deutschland wenigstens, sich ihr unbequem. So suchte sie denn zuletzt auf englischem Boden Zuflucht, und, um verwandten Geistern nahe zu bleiben, siedelte sie sich mitten in der deutschen Flüchtlingskolonie in der Vorstadt St. Johns Wood an. Von der Familie Kinkel wurde sie mit großer Herzlichkeit

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s259.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)