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fremdländischen Akzents einen besonders pikanten Reiz empfing, da spottete der Enthusiasmus der Zuhörer aller Beschreibung.

Kossuth wurde in dem Hause eines Londoner Privatmanns, der an dem Schicksale Ungarns ein besonderes Interesse nahm, gastfreundlich aufgenommen und empfing dort während seines Aufenthaltes in der englischen Hauptstadt seine Bewunderer und Freunde. Eine Art von Hofhaltung umgab ihn. Seine Begleiter, stets in ungarischer Nationaltracht, hielten seine Prätension, noch immer der rechtmäßige Gouverneur von Ungarn zu sein, in zeremoniöser Weise aufrecht. Er gab Audienzen wie ein Fürst, und wenn er ins Zimmer trat, so wurde er von einem Adjutanten als der „Gouverneur“ angekündigt, alle Anwesenden standen von ihren Sitzen auf, und Kossuth begrüßte sie mit einer gewissen ernsten Feierlichkeit. Unter den Flüchtlingen anderer Nationen gab diese undemokratische Förmlichkeit viel Anstoß, aber doch wohl mit Unrecht. Es war Kossuths Absicht, auf die öffentliche Meinung gewisse Wirkungen hervorzubringen, nicht seiner selbst, sondern seines Volkes wegen. Und da es sich darum handelte, der Phantasie der Engländer das Bild Ungarns einzuprägen und ihnen auch den festen Glauben der Ungarn an die Rechtmäßigkeit ihrer Sache zu versinnlichen, so war es nicht unangemessen, daß Kossuth solche pittoreske Schaustellungen als Mittel zu seinem Zweck benutzte.

Auch unsere deutsche Flüchtlingsorganisation schickte eine Deputation ab, um Kossuth unsern Respekt zu bezeugen, und zu dieser Deputation gehörte auch ich. Wir wurden in der üblichen Weise in den Empfangssaal geführt und dort von goldbetreßten, gestiefelten und gespornten Adjutanten begrüßt, hübschen schnurrbärtigen Gesellen mit herrlichen weißen Zähnen. Endlich erschien Kossuth. Es war das erstemal, daß ich ihm nahe kam. Der Sprecher unserer Deputation nannte ihm unsere Namen, und als der meinige genannt wurde, trat Kossuth vor, reichte mir seine Hand und sagte auf deutsch mit einem Anflug des österreichischen Dialekts: „Ich kenne Sie. Sie haben eine edle Tat getan. Ich freue mich, Ihnen die Hand drücken zu können.“ Ich war so verlegen, daß ich nichts antworten konnte. Ich fühlte, wie mir das Blut in die Wangen schoß. Aber es war doch ein stolzer Moment. Es entspann sich eine kurze Unterhaltung, an welcher ich nur geringen Anteil nahm. Ein Mitglied unserer Deputation sprach von der sozialistischen Tendenz der neueren revolutionären Agitation. Ich erinnere mich der Antwort, die Kossuth gab. Er sagte ungefähr folgendes: „Ich weiß nichts von Sozialismus. Ich habe mich nie damit beschäftigt. Mein Zweck ist, dem ungarischen Volk nationale Unabhängigkeit und freisinnige Staatseinrichtungen zu erkämpfen. Wenn das geschehen ist, so wird meine Aufgabe erfüllt sein.“ In dieser Beziehung stand er auf gleichem Standpunkt mit Mazzini, der ebenfalls tätige Teilnahme an sozialistischen Bestrebungen von sich abwies.

Bei den öffentlichen Gelegenheiten, die ihm geboten wurden, strengte Kossuth seine ganze Beredsamkeit an, um die Begeisterung für die ungarische Sache unter den Engländern in Flammen zu halten; aber, obgleich ihm seine Zuhörer stets den wärmsten Beifall zollten, so konnten doch seine Bemühungen, England zu einem entschiedenen Auftreten

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s258.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)