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Übrigens wußten wir damals noch nicht, wie wenig der Ertrag der deutschen „Nationalanleihe“ zu bedeuten haben werde.

Eine andere Begegnung wurde mir zuteil, die mir kaum minder denkwürdig geblieben ist. Im Oktober 1851 kam Ludwig Kossuth nach England. Nach dem Zusammenbruch der ungarischen Revolution war er über die türkische Grenze geflohen. Sein Verbleiben in der Türkei wurde von Österreich für unstatthaft und von Kossuths Freunden für unsicher gehalten. Freilich verweigerte der Sultan seine Auslieferung. Als aber die Republik der Vereinigten Staaten von Amerika in großmütiger Sympathie mit dem unglücklichen Freiheitskämpfer diesem auf einem amerikanischen Kriegsschiff die Überfahrt nach den Vereinigten Staaten anbot, wurde das Anerbieten ohne Zaudern angenommen. Aber Kossuth hatte keineswegs im Sinne, nach Amerika zu wandern, um dort seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Er war weit entfernt davon, seine Sendung für beendigt und die Niederlage seiner Sache für unwiderruflich zu halten. Die sanguinische Hoffnungsseligkeit der Verbannten träumte von der Möglichkeit, den liberalen Teil der alten und gar die neue Welt gegen die Unterdrücker seines Vaterlandes zu den Waffen zu rufen, oder wenigstens zu diplomatischer Einmischung zu bewegen. Und in der Tat, hätte sich dies durch einen bloßen Appell an das Gefühl und die Einbildungskraft erreichen lassen, so würde Kossuth der Mann gewesen sein, es zu vollbringen. Von allen Ereignissen der Jahre 1848 und 49 hatte der heldenmütige Kampf der Ungarn für ihre nationale Unabhängigkeit im Auslande vielleicht das lebhafteste Mitgefühl erweckt. Die tapferen Generale, die eine Zeitlang von Sieg zu Sieg flogen, um dann nach der russischen Intervention der Übermacht zu erliegen, erschienen wie die Recken einer Heldensage, und über ihnen stand die Figur Kossuths gleich der eines Propheten, dessen Wort in dem Herzen des Volks die Flamme des Patriotismus entzündet hatte und lodernd erhielt. Alles war da, Heldenmut und tragisches Unglück, um das Epos großartig und rührend zu machen, und die ganze Romantik der revolutionären Zeit fand in Kossuths Person die anziehendste Verkörperung. Seine wunderbare Beredsamkeit war während des Kampfes in vollen Tönen über die Grenze Ungarns hinausgeklungen. Nicht wenige seiner schwungvollen Perioden, poetischen Vergleiche und herzergreifenden Ausrufe gingen unter uns jungen Leuten auf der Universität von Mund zu Mund; und sein Bild mit der gedankenschweren Stirn, den träumerischen Augen und dem schönen bartumrahmten Kinn wurde ein Gegenstand bewundernder Verehrung.

Als er nun, seine Reise nach Amerika unterbrechend, in London ankam, schien der Enthusiasmus des englischen Volks keine Grenzen zu kennen. Sein Einzug glich dem eines von siegreichem Feldzug zurückkehrenden Nationalhelden. Das Menschengedränge auf den Straßen war unermeßlich, und ein betäubendes Jubelgeschrei grüßte Kossuth, wie er in seiner malerischen ungarischen Tracht im Wagen aufrecht stehend mit dem Säbel an der Seite erschien, von einem ebenso pittoresken Gefolge begleitet. Aber als er endlich zu reden begann und seine volltönende und doch so weiche Stimme ihren Wohllaut über die Köpfe der Menge ausströmte in klassischem Englisch, das durch einen Anflug

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s257.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)