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Meine diplomatische Mission in der Schweiz war bald vollendet. Ich hatte die Zustimmung der meisten hervorragenden Flüchtlinge zu dem Anleiheplan gewonnen und glaubte der Sache der Freiheit einen bedeutenden Dienst geleistet zu haben. Dann kehrte ich nach London zurück. Frau Kinkel bat mich, bis zur Rückkehr ihres Mannes in ihrem Hause zu wohnen, da sie sonst dort keinen männlichen Schutz habe, und natürlich mußte ich ihr willfahren. Aber das Leben dort blieb keineswegs so heiter, wie es während der Anwesenheit Kinkels gewesen war. Da empfand ich erst, ein wie großes Opfer Kinkel durch die Übernahme einer solchen Mission gebracht hatte. Frau Johanna hatte ihren Mann mit Betrübnis und Sorge scheiden sehen. Ihre Wiedervereinigung war noch kein Jahr alt, und als nun plötzlich das glückliche Familienleben von neuem auf viele Monate hinaus zerrissen wurde, und das zu einer Zeit, als die Gründung einer bürgerlichen Existenz in der Fremde die gemeinsame Anstrengung aller Kräfte erforderte, so schien ihr die Bürde, welche die Parteigenossen ihr auferlegten, allzu schwer. Sie ergab sich allerdings in ihr Schicksal, aber nicht ohne Mißmut. Ihre Gesundheit fing an zu leiden; nervöse Störungen stellten sich ein, und es ist wahrscheinlich, daß damals die Anfänge der Herzkrankheit sich bemerklich machten, die sie einige Jahre später in ein frühes Grab brachte. Die Nachrichten, die wir von Kinkel aus Amerika empfingen, waren allerdings, was ihn selbst betraf, befriedigend; aber sie vermochten doch nicht das verdüsterte Gemüt der einsamen Frau zu erheitern, wie sehr diese auch sich an patriotischen Hoffnungen aufrecht zu erhalten versuchte.

Kinkel hatte vieles zu erzählen von der Herzlichkeit, mit der die Deutschen in Amerika ihn begrüßten. Wo er erschien, da strömten die Landsleute zusammen, um dem Zauber seiner Beredsamkeit zu lauschen. Wie er von Stadt zu Stadt zog, so reihte sich ein festlicher Empfang an den andern. Der Enthusiasmus der Versammlungen ließ nichts zu wünschen übrig. Obgleich Kinkel damals das Englische nur noch mangelhaft sprach, so mußte er sich zuweilen doch in englischen Gelegenheitsreden versuchen, wenn, was nicht selten vorkam, geborene Amerikaner an den ihm gewidmeten Feierlichkeiten teilnahmen. So besuchte er alle bedeutenderen Plätze im Norden und Süden, Osten und Westen der Vereinigten Staaten. Auch dem Präsidenten Fillmore machte er seine Aufwartung und wurde mit großer Freundlichkeit empfangen. Diese Erlebnisse beschrieb er in seinen Briefen mit sprudelndem Humor; all seine Berichte atmeten frische Lebenslust und zeugten von dem lebhaftesten Interesse an dem neuen Lande. Kurz, seine Reise ging in allen Beziehungen nach Wunsch – nur im Punkte der deutschen Nationalanleihe nicht. Es wurden allerdings allenthalben Ausschüsse organisiert und zur Einsammlung von Geld und zur Ausgabe von Anleihscheinen ermächtigt, aber die Beiträge beliefen sich schließlich nur auf wenige tausend Dollars – eine geringfügige Summe, mit der sich nichts anfangen ließ. Kossuth, der wenige Monate später mit viel bedeutenderem Prestige und größerem Pomp zu einem ähnlichen Zweck nach Amerika zog, machte dieselbe Erfahrung. Und es war ein Glück, daß die „Anleihen“ mißlangen. Man hätte auch mit größeren Summen nur hoffnungslose

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s253.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)