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von Fremden, die man im Verdacht haben mochte, daß sie sich an dem Widerstande gegen den beabsichtigten Staatsstreich tätig beteiligen würden. Zu dieser Kategorie wurde auch ich gerechnet.

Ein Polizeiagent, der in einem Pamphlet die drohenden Gefahren beschrieb, um den Bourgeois in den geeigneten Schrecken zu setzen, erwies mir sogar die Ehre, mich als einen besonders verwegenen Umstürzler zu bezeichnen, der sich schon in seinem Vaterlande die unerhörtesten Dinge habe zuschulden kommen lassen. Zur Begründung erzählte er die Befreiung Kinkels, eines ungewöhnlich verabscheuenswerten Staatsverbrechers, mit den fabelhaftesten Ausschmückungen. Diese Umstände waren es, denen ich, trotz meiner bescheidenen und zurückgezogenen Aufführung in Paris, meine Verhaftung und Ausweisung aus Frankreich zu verdanken hatte. So ganz Unrecht hatte man übrigens darin nicht. Es ist keineswegs unwahrscheinlich, daß, wäre ich zur Zeit des Staatsstreiches in Paris gewesen, ich in dem Widerstande gegen die napoleonische Usurpation den Entscheidungskampf um die Freiheit Europas gesehen, eine Muskete ergriffen und auf den Dezemberbarrikaden mitgekämpft haben würde. So kann es sein, daß, wäre es sonst meine Absicht gewesen, in Paris zu bleiben, die polizeiliche Ausweisung mich von der Teilnahme an einem hoffnungslosen Unternehmen und vielleicht einem elenden Ende gerettet hat.

Die letzten Wochen meines Aufenthalts in Paris nach meiner Entlassung aus dem Gefängnis waren einem nochmaligen Besuch der Galerien, Museen und interessantesten Architekturen gewidmet und heiterem Zusammenleben mit meinen Freunden. Einem von diesen, einem jungen Franzosen aus der Provence, der in Paris Medizin studierte, schien der Abschied von mir besonders schwer zu werden. Ich hatte ihn als einen Hausgenossen unter dem Dache der Familie Petit kennen gelernt, und ich erwähne ihn besonders, weil er ein Beispiel der Wirkung deutscher Philosophie auf einen französischen Kopf lieferte, das ich nicht für möglich gehalten haben würde, hätte ich die Geschichte nicht selbst erlebt. Bald nachdem wir miteinander bekannt geworden, schloß er sich mit Wärme an mich und mehrere meiner deutschen Freunde an, und da er ein bescheidener, gemütvoller, wißbegieriger und fleißiger Mensch war, so erwiderten wir seine Neigung. Er liebte die Deutschen, wie er sagte, weil sie das Volk der Denker seien. Er hatte einige Erzeugnisse der deutschen Literatur in Übersetzungen kennen gelernt und versuchte, sich die Sprache anzueignen, hauptsächlich um die Werke deutscher Philosophen zu studieren; aber es wurde ihm schwer. So mußte er sich denn mit französischen Bearbeitungen der deutschen philosophischen Schriften behelfen und suchte oft bei uns Aufklärung über Stellen, die er nicht verstand. Diese Aufklärung konnten wir ihm zuweilen geben, aber manche der dunklen Sätze verstanden wir auch nicht. Plötzlich fiel es uns auf, daß unser junger Provenzale, dessen Lebenswandel sonst immer durchaus solid und geregelt gewesen war, deutsche Bierhäuser, deren es in Paris mehrere gab, zu frequentieren und stark zu trinken anfing. Das ging so weit, daß eines Tages Madame Petit und ihre Töchter mich baten, ihn in seinem Zimmer zu besuchen, da er in der vorhergehenden Nacht schwer betrunken nach Hause gekommen

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s244.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)