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Agitation begonnen, auch dort in einer kaum weniger wirksamen Weise gepflegt worden. Bérangers Lieder und Thiers’ Geschichte des Konsulats und Kaiserreichs hatten den Napoleonkultus lebendig erhalten, und selbst die Regierung Louis Philipps hatte dem Idol ihre Huldigung dargebracht, indem sie sich dazu verstand, Napoleons Überreste mit großem Pomp von St. Helena herüberführen und im Invalidendom beisetzen zu lassen. Das so vorbereitete Feld wurde nun, seitdem Louis Napoleon als Präsident an der Spitze der Exekutivgewalt stand, unablässig beackert. Wie auf dem Lande die Drehorgel, so wurde in der Stadt das Theater zu Hülfe genommen. Ich erinnere mich eines Spektakelstückes, das mit großer Pracht und ergreifender Realität in Paris auf einer der Vorstadtbühnen zur Aufführung kam. Es hieß „La Barrière de Clichy“ und stellte den Feldzug von 1814, die Verbannung Napoleons nach der Insel Elba und seine Rückkehr nach Frankreich im Jahre 1815 dar. Napoleon erschien darin in vortrefflicher Maske, zu Fuß und zu Pferde, auf dem historischen Schimmel, und alle Gefechte jenes Feldzuges, in denen er erfolgreich war, spielten sich vor den Augen der Zuschauer ab, – die Franzosen, Infanterie, Kavallerie und Artillerie, in den Uniformen des Kaiserreichs; die Feinde, Preußen und Russen, barbarisch aussehende Kerle, wüst und roh, und vor dem französischen Heldenmut stets davonlaufend. Auch Blücher trat in Person auf, ein polternder Barbar, der sich in den greulichsten Schimpfreden erging und dabei, aus einer kurzen Pfeife rauchend, riesige Dampfwolken ausblies und beständig um sich her spuckte. Die Feinde wurden so regelmäßig geschlagen, daß es dem unbefangenen Zuschauer schwer begreiflich war, warum Napoleon nach all diesen glänzenden Siegen doch unterlag und in die Verbannung ziehen mußte. Er kam nun auch bald unter dem jubelnden Zuruf des Volks zurück. Die Armee ging prompt zu ihm über, und das Stück schloß mit seinem Einzug in Grenoble. Das Publikum spendete rauschenden Beifall, und das gewünschte „Vive l’Empereur!“ ließ sich nicht allein auf der Bühne, sondern auch nicht selten auf den Galerien, im Parterre und in den Logen hören. So bearbeitete man die Stadtbevölkerung.

Die Armee suchte sich der „Prinzpräsident“ zu gewinnen, indem er bei Paraden und Manövern in Generalsuniform erschien, den Soldaten alle möglichen Begünstigungen zuwandte und die abenteuerlichen Geister unter den Offizieren durch allerlei Bevorzugungen an sich zog.

Im Frühling 1851 begann er nun auch ernstlich, das voraussichtliche Schlachtfeld des geplanten Staatsstreichs für die entscheidende Aktion vorzubereiten. In den Pariser Spießbürgern wurde die Besorgnis geweckt, daß die Hauptstadt von gefährlichen Elementen voll sei, von denen man jeden Augenblick den Versuch eines Umsturzes der ganzen gesellschaftlichen Ordnung zu befürchten habe; die Gesellschaft sei in Gefahr und müsse gerettet werden. Der Präsident sei zu dieser Rettung bereit, aber der parlamentarische Teil der Regierung suche ihm die Hände zu binden. Er tue jedoch, was er könne, und unternehme es vorerst, die Hauptstadt von gemeingefährlichen Elementen zu säubern. Eine der zu diesem Ende ergriffenen Maßregeln bestand in der Entfernung

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s243.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)