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Musikstunden. Ich fand die Familie in sehr heiterer Stimmung, und wir verlebten einige glückliche Tage zusammen. Es behagte mir in der Tat so gut dort, daß Kinkel mich ohne Mühe überreden konnte, meinen Aufenthalt in Paris aufzugeben und nach London überzusiedeln, wo ich, wie mir schien, ohne große Schwierigkeit als Privatlehrer meinen Lebensunterhalt gewinnen konnte. Ich kehrte also, wie ich glaubte, nur noch auf ein paar Wochen nach Paris zurück. Aber mein Abschied von der französischen Hauptstadt sollte durch einen unerwarteten und recht unangenehmen Zwischenfall verzögert werden.

Eines Nachmittags begleitete ich die Frau meines Freundes und Mitflüchtlings Reinhold Solger, der später im Dienste der Vereinigten Staaten eine angesehene Stellung einnahm, auf einem Spaziergange. Wir waren in der Nähe des Palais Royal, als mir ein unbekannter Mann in den Weg trat und mich ersuchte, mit ihm einen Schritt auf die Seite zu gehen, da er mir etwas Vertrauliches mitzuteilen habe. Sobald wir von Frau Solger weit genug entfernt waren, daß sie unser Gespräch nicht hören konnte, eröffnete er mir, er sei ein Polizeiagent und habe den Auftrag, mich zu verhaften und sofort zur Polizeipräfektur zu bringen. Er erlaubte mir, zu Frau Solger zurückzutreten, der ich, um sie nicht zu beunruhigen, mit möglichst unbefangener Miene sagte, sie müsse mich entschuldigen, da ich von diesem Herrn zu einem sehr dringenden Geschäft abgerufen worden sei.

Der Agent führte mich zuerst zu einem Polizeikommissar, der mich über meinen Namen, mein Alter, meine Herkunft usw. befragte. Zu meiner großen Verwunderung fand ich, daß die Polizei, die meinen Namen zu kennen schien, nicht wußte, wo ich wohnte. Ich erklärte dem Kommissar, ich habe durchaus keine Ursache, irgend etwas zu verheimlichen, und gab ihm nicht allein meine Wohnung an, sondern auch den Platz darin, wo man die Schlüssel zu meiner Kommode und meinem Koffer finden werde. Dafür wünschte ich zu wissen, aus welchem Grunde ich denn verhaftet worden sei. Der Kommissar machte ein geheimnisvolles Gesicht, sprach von höherem Befehl und meinte, ich werde bald genug alles erfahren. Ein anderer Polizeiagent führte mich dann zur Polizeipräfektur. Dort wurde ich, nachdem ich mein Taschenmesser und was ich an Geld bei mir führte, abgeliefert hatte, einem Gefängniswärter übergeben, der mich in eine Zelle brachte und die Tür hinter mir abschloß. Auf die Frage, ob man mir nicht sogleich den Grund meiner Verhaftung mitteilen werde, erhielt ich keine bestimmte Antwort. Meine Zelle war ein kleiner kahler Raum, von einem engen, hoch oben in der Wand befindlichen vergitterten Fenster spärlich beleuchtet. Es standen zwei schmale, nicht besonders reinliche Betten darin, zwei hölzerne Stühle und ein kleiner Tisch. Ich erwartete jeden Augenblick, zu einem Verhör abgerufen zu werden, denn ich dachte, in einer Republik, wie Frankreich damals war, werde man doch niemanden einsperren, ohne ihm sofort den Grund zu sagen, aber vergeblich. Es wurde Abend, und der Schließer teilte mir mit, daß ich ein aus gewissen Gerichten, die er aufzählte, bestehendes Souper haben könne, wenn ich imstande und willens sei, dafür zu bezahlen. Sonst würde ich mit der gewöhnlichen Gefangenenkost, die er mir in durchaus nicht lockender

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s239.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)