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Diese Weise, eine fremde Sprache zu erlernen, erprobte sich als ebenso angenehm wie wirksam. Man kann die Versuche, sich frei auszudrücken und somit die Sprache selbständig zu handhaben, schon mit einem sehr kleinen Wortschatz beginnen. Gewissenhaftes Lesen und verständig geführte Unterhaltung wird dann den Wortschatz rasch vermehren und die Leichtigkeit des Ausdrucks entwickeln. Aber ich kann nicht zu viel Nachdruck auf den Punkt legen, daß der schriftliche Ausdruck eigener Gedanken die wirksamste und die wichtigste Übung zu der Aneignung der fremden Sprache ist. In der bloßen Konversation sind wir geneigt, über Schwierigkeiten hinwegzueilen mit vagen oder unpräzisen Redensarten, die im schriftlichen Ausdruck Korrektur verlangen, und zwar Korrektur, die sich im Gedächtnis festsetzt, wenn das geschriebene Wort uns ins Gesicht blickt. Freilich gehört dazu ein Lehrer, der nicht allein dem Schüler grammatische Regeln einzutrichtern, sondern auch in dem Sprachstudium ein anderweitiges geistiges Interesse anzuregen weiß. Dieser Anforderung genügte die Princesse de Beaufort in hohem Grade, und die Stunden, die ich bei ihr zubrachte, sind mir immer eine besonders angenehme Erinnerung geblieben. Als ich zehn Jahre später als Gesandter der Vereinigten Staaten nach Spanien ging und mich unterwegs einige Tage in Paris aufhielt, besuchte ich das Hotel garni, das sie bewohnt hatte, um ihr meine Dankbarkeit zu bezeugen. Aber ich hörte dort, sie habe schon vor Jahren ihre Zimmer verlassen, und niemand im Hause konnte mir über sie Auskunft geben.

Eine andere, fast ebenso wirksame Methode fremde Sprachen ohne Lehrer zu erlernen, werde ich später erwähnen, wenn ich an die Zeit komme, da ich das Englische angriff. Hier will ich nur hinzusetzen, daß mir in der beschriebenen Weise das Französische recht geläufig wurde. Leider habe ich seither durch Mangel an beständiger Übung nicht wenig von der Leichtigkeit und Korrektheit des Ausdrucks eingebüßt. Ich mache mir einen Vorwurf daraus, denn man kann sich ohne Schwierigkeit, auch ohne beständige Gelegenheit zum Gespräch, in dem vollständigen Besitz einer einmal gewonnenen Sprache dadurch erhalten, daß man täglich sich selbst ein paar Seiten aus einem guten Schriftsteller laut vorliest.

Ich fuhr fort, französische Geschichte, besonders die der Revolutionszeit, eifrig zu studieren, und da Frankreich noch immer als der revolutionäre Führer Europas galt und wir von der Entwicklung der Dinge dort die wichtigsten Resultate erwarteten, so nahm ich auch an der französischen Tagespolitik das lebhafteste Interesse und verfolgte den damals vor sich gehenden Kampf zwischen den Republikanern und dem usurpatorischer Gelüste verdächtigen Präsidenten Louis Napoleon Bonaparte mit der größten Spannung. Aber ich mußte mir gestehen, daß manche von den Dingen, die ich, als nüchterner Beobachter, um mich her vor sich gehen sah, meine Vorstellung von der Großartigkeit der Ereignisse der Revolutionsperiode wesentlich abschwächten und meinem Glauben an die künftige welthistorische Mission Frankreichs einen argen Stoß gaben.

Oft besuchte ich die Galerie der Nationalversammlung, wenn Verhandlungen von Wichtigkeit angekündigt waren. Ich hatte die Geschichte

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s234.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)