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der andere breit war, ruhig umher, bis sein eigenes Fußzeug die nötige Reparatur erfahren hatte.

Ich fühlte das Bedürfnis, mich in der französischen Sprache zu vervollkommnen und sie mit der Feinheit sprechen und schreiben zu lernen, die ihren charakteristischen Reiz ausmacht. Einer meiner Freunde empfahl mir eine Lehrerin, die den pompösen Namen Mme. la Princesse de Beaufort führte. Es hieß, sie gehöre einer alten hochadeligen Familie an, und sei durch die Folgen der Revolutionen so verarmt, daß sie als Sprachlehrerin ihr Brot verdienen müsse. Ob sich dies in Wirklichkeit so verhielt, weiß ich nicht; aber als ich sie aufsuchte, fand ich in einer sehr bescheidenen Wohnung eines Hotel garni eine ältliche Dame von angenehmen Gesichtszügen und ruhigem, feinem Wesen, das leicht glauben ließ, sie habe sich in gebildeten Kreisen bewegt. Sie nahm mich als Schüler an und erklärte sich bereit, mir wöchentlich zwei Unterrichtsstunden zu geben, von denen jede einen Franken kosten sollte. Am nächsten Tage begannen wir. Meine Lehrerin erlaubte mir, die Methode des Unterrichts selbst zu bestimmen, und ich schlug ihr vor, daß, statt nach dem gewöhnlichen System die grammatischen Regeln durchzugehen, ich ihr kleine Briefe oder Aufsätze schreiben sollte über Gegenstände, die mich interessierten, oder die sie mir angeben möchte. Die Lehrerin sollte dann meine Fehler korrigieren und mir für meine unfranzösischen Redeweisen die idiomatischen beibringen. Wir wollten dabei eine Grammatik zur Hand haben, um mir die Regeln nachzuweisen, die ich etwa verletzte. Dies gefiel ihr, und da ich mich schon einigermaßen verständlich zu machen wußte, so gingen wir ohne Verzug ans Werk.

Diese Methode bewährte sich vortrefflich. Meine Briefe oder Aufsätze handelten von Vorkommnissen, die mir eben begegnet waren, oder von Museen oder Gemäldesammlungen, die ich gesehen, oder von Büchern, die ich gelesen, oder von Tagesereignissen und gar von politischen Angelegenheiten, die mich interessierten. Da ich nun nicht bloße Wortformen grammatikalisch aneinanderreihte, wie die Schüler der Gymnasien gewöhnlich ihre lateinischen Aufsätze schreiben, sondern meine Beobachtungen, Erfahrungen und Ansichten mit großer Freiheit darlegte und damit meinen Stilübungen einen möglichst interessanten Inhalt zu geben suchte, so begnügte sich meine Lehrerin nicht damit, mir meine sprachlichen Fehler zu korrigieren, sondern es entspannen sich lebhafte Unterhaltungen zwischen uns, in denen sie mich zu weitern Auseinandersetzungen über den Gegenstand meines Aufsatzes anregte. Diese Gespräche, in denen sie neben gründlicher Sprachkenntnis auch einen feinen Geist offenbarte, wurden uns beiden so angenehm, daß uns nicht selten der Ablauf der festgesetzten Stunde entging, und wenn ich dann aufstand, um mich zu verabschieden, sie mich zu bleiben bat, um das besprochene Thema noch etwas weiter zu verfolgen. Da ich nun außerdem viel las und mir dabei nie erlaubte, über Worte oder Redewendungen, die ich nicht verstand, hinwegzuschlüpfen, so waren meine Fortschritte sehr ermutigend, und nach einigen Wochen kam es nicht selten vor, daß meine Lehrerin mir einen Aufsatz mit der Versicherung zurückgab, sie finde darin nichts zu verbessern.

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s233.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2021)