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Kamin, einen Kleiderschrank und sogar ein Klavier, das freilich alt und schlecht war, aber doch nicht so schlecht, wie man hätte fürchten dürfen. Mein Bett stand in einem Alkoven und konnte vermittelst baumwollener Vorhänge den Blicken des Besuchers entzogen werden. Für diese Wohnung hatte ich monatlich eine Miete von 30 Franken zu bezahlen, eine für meine Verhältnisse hohe Summe; aber ich dachte mir, daß der Charakter des Hauses mir anderweitig werde sparen helfen. Mein erstes Frühstück bestand in einer Tasse Kaffee, die ich mir selbst bereitete, oder in einem Glase Wein mit Wasser und einem Stück Brot, zuweilen mit, zuweilen ohne Butter. Nachdem ich bis Mittag gearbeitet hatte, nahm ich mein zweites Frühstück, das nie über einen halben Franken kosten durfte, in irgendeinem Restaurant des lateinischen Viertels, und abends aß ich in einem Lokal in der Rue St. Germain L’Auxerrois nahe beim Louvre, das von einer sozialistischen Vereinigung von Köchen geführt wurde, der Association fraternelle des cuisiniers réunis. Köche, Aufwärter und Gäste redeten sich dort nach dem Muster der ersten französischen Revolution mit dem Titel „Citoyen“ an, und der bürgerliche Gleichheitsstolz betätigte sich auch darin, daß der Citoyen Aufwärter von dem Citoyen Gast kein Trinkgeld annahm. Übrigens empfing man bei diesen Citoyens für einen Franken ein allerdings einfaches, aber doch reichliches und schmackhaftes Mahl, bei dem sogar die „Konfitüre“ zum Nachtisch und ein Glas Wein nicht fehlten. Die Gesellschaft war gemischt, aber um so mehr hatte man Veranlassung, sich während des Essens in den idealen Brüderlichkeitsstaat hineinzuträumen.

Rechnete ich zu diesen Ausgaben das Nötige für Wäsche und dann und wann ein Feuer im Kamin, so belief sich das regelmäßige Budget auf nicht ganz drei Franken täglich, oder 90 bis 93 Franken per Monat. Ich konnte mir sogar einigen Luxus erlauben, den Ankauf einiger Bücher, die ich jetzt noch besitze, zuweilen ein Billet für das Parterre des Odeon oder eines Vorstadttheaters, eine gelegentliche Tasse Kaffee auf dem Boulevard und dergleichen, ja ich konnte, freilich nur sehr selten, die Rachel im Théâtre français sehen, ohne die Summe von 120 Franken den Monat zu übersteigen; und dann blieb mir von meiner Einnahme noch eine kleine Reserve übrig für unvorhergesehene Fälle, wie sie sich in dem Leben eines Flüchtlings wohl ereignen konnten. So hielt ich Haus, machte keine Schulden, war niemandem verpflichtet und befand mich sehr wohl dabei.

Natürlich konnte ich unter diesen Umständen nicht daran denken, viele gesellschaftliche Verbindungen anzuknüpfen. Außer einem gelegentlichen Besuch des Salons der Gräfin d’Agoult, der bekannten Freundin Liszts, blieb mein Umgang beschränkt auf die deutschen Flüchtlinge, einige deutsche Studierende und junge Künstler, die in Paris weitere Ausbildung suchten, und einige französische Studenten, die ich teils bei meinen deutschen Freunden, teils als Hausgenossen im Salon der Mme. Petit hatte kennen lernen. Aber in diesem kleinen Kreise fand ich tüchtige und angenehme Menschen. Wir hatten wöchentlich musikalische Abende zusammen, zuweilen in meinem Zimmer, bei denen die jungen Musiker, unter ihnen Reinecke, der spätere Direktor der Leipziger Gewandhauskonzerte, die neueren Komponisten durchgingen und auch wohl ihre

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s231.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)