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Montmartre bewohnte. Aber diese gemeinsame Wirtschaft währte nicht lange. Strodtmann vermochte nicht, in seinen Sachen Ordnung zu halten, und da auch ich in dieser Richtung meine Schwächen hatte, so gab es in unserem Zimmer, das zugleich als Wohn- und Schlafraum diente, oft ein schlimmes Durcheinander. Es ist eine alte Erfahrung, daß ein Mensch, der selbst nicht ordentlich ist, die Unordentlichkeit eines andern zuweilen recht unbequem empfindet. So ging es uns auch. Natürlich schien es mir, daß Strodtmann der größere Sünder sei, und nicht ganz mit Unrecht. Er aß gern gut, studierte die in den Schaufenstern der Delikateßhandlungen ausgestellten Leckerbissen mit großem Eifer und bildete sich ein, feine Speisen selbst bereiten zu können. So machte er denn auf unserem Kaminfeuer allerlei Koch- und Bratversuche, die das Zimmer mit unwillkommenen Düften erfüllten. Auch wollte er sich das Kaffeemachen nicht nehmen lassen, denn er bestand darauf, er verstehe das viel besser als ich oder irgend jemand anders. Dieser Anmaßung würde ich mich schon gern unterworfen haben, aber da er mit der brennenden Spirituslampe seiner Kaffeemaschine zuweilen sehr lebhaft umging, so passierte es ihm wohl, daß er umherliegende Kleider und Papiere in Brand setzte und endlich gar ein großes Loch in das wertvollste Stück meiner Garderobe brannte, – nämlich jenen weiten Paletot mit Kapuze, den ich mir in der Schweiz aus meinem badischen Offiziersmantel hatte anfertigen lassen. Als dies geschehen war, wollte Strodtmann sich über seine eigene Ungeschicklichkeit totlachen, und ich lachte mit. Aber nach dieser Katastrophe kamen wir doch in der freundschaftlichsten Weise dahin überein, daß für zwei so unordentliche Menschen in der einen Stube nicht hinreichend Raum sei. Ich mietete mir also ein Zimmer auf dem Quai St. Michel Nr. 17, und Strodtmann siedelte sich im „lateinischen Quartier“ in meiner Nähe an.

Das Haus Quai St. Michel Nr. 17 wurde von einer Witwe, Mme. Petit, und ihren Töchtern, zwei nicht mehr ganz jungen unverheirateten Damen, nach Grundsätzen strengen Anstandes geführt. Die Mieter durften weder Hunde noch menschliche Wesen weiblichen Geschlechts über die Schwelle bringen. Auch sonst wurde ein stilles Verhalten gewünscht. In diesen Dingen unterschied sich dieses Haus vorteilhaft von den meisten Mietwohnungen im lateinischen Viertel. Wer sich bei uns durch besonders korrekte Aufführung auszeichnete, der wurde damit belohnt, daß ihn Mme. zuweilen in ihren kleinen Salon zum Tee einlud, wo es in der Gesellschaft der vergilbten Töchter und einiger Freunde der Familie recht langweilig herging. Nachdem man diese Erfahrung einmal gemacht hatte, drückte man sich an solcher Ehrenbezeugung vorbei, so gut man konnte. Mein Zimmer im Hause der Mme. Petit war meinen damaligen Begriffen nach recht behaglich. Allerdings lag es nicht nach der Seine hinaus, sondern ich sah von meinen Fenstern in eine enge und nicht ganz reinliche Gasse. Auch mußte ich, um meine Wohnung zu erreichen, mehrere Treppen hinauf- und andere Treppen hinabsteigen, einen dunkeln Gang durchwandern und um verschiedene Ecken biegen. Aber das störte mich nicht. Meine Stube war ziemlich geräumig, hatte einen roten Ziegelboden, stellenweise mit kleinen Stückchen Teppich bedeckt, mehrere brauchbare Stühle, einen runden Tisch, einen

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s230.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)