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dazu zu bewegen. Ich wünschte lebhaft, Brune noch einmal zu sehen, und beabsichtigte ihn zu besuchen. Aber verschiedene Umstände machten die bereits vorbereitete Reise zu meinem großen Leidwesen unmöglich. Im Jahre 1891 empfing ich in Amerika einen Brief von Brunes Tochter, worin sie mir den Tod ihres tapferen Vaters meldete.

Da die Spandauer Teilnehmer an der Befreiung Kinkels sich zu sehr über das Gelingen des Wagestücks freuten, als daß sie diese Freude hätten ganz für sich behalten können, so wurde auch Krüger in die Untersuchung verwickelt und vor Gericht gezogen. Es wurde berichtet, daß er in den Gerichtsverhandlungen meine Einkehr in seinen Gasthof bereitwillig zugestanden habe mit dem Bemerken, es sei sein Geschäft, anständig aussehende Fremde, die voraussichtlich ihre Rechnung bezahlen könnten, in sein Haus aufzunehmen. Er könne dabei nicht immer genau untersuchen, wer diese Fremden seien, und was sie beabsichtigten. So sei z. B. sogleich nach der Revolution in Berlin am 18. März 1848 ein sehr stattlich aussehender Herr mit einigen Freunden in seinem Gasthofe abgestiegen. Die Herren seien in großer Aufregung und Eile gewesen, und er habe manches Außergewöhnliche in ihrem Benehmen bemerkt. In großer Hast seien sie wieder abgereist, wie er gehört habe, nach England. Es sei ihm nicht einen Augenblick eingefallen, ihnen die Gastlichkeit seines Hauses als Unbekannten zu verweigern. Erst später habe er erfahren, daß der vornehmste dieser Herren Se. Königliche Hoheit der Prinz von Preußen gewesen sei. – Diese Erzählung, mit dem stillen Lächeln vorgetragen, das Krüger eigen war, soll das anwesende Publikum in die heiterste Laune versetzt haben, der sich selbst der Gerichtshof nicht ganz entziehen konnte. – Krüger wurde freigesprochen, lebte ruhig in Spandau fort und starb in den siebziger Jahren, von seinen Mitbürgern allgemein geachtet.

Poritz, Leddihn und Hensel gingen ebenfalls frei aus, da man keine Beweise gegen sie aufbringen konnte. Poritz und Hensel starben nicht viele Jahre nach den hier erzählten Ereignissen. Leddihn sah ich im Jahre 1888 in Berlin wieder. Er wohnte schon längere Zeit dort, war ein wohlhabender Bürger geworden und bekleidete die geachtete Stellung eines Stadtverordneten. Drei Jahre später meldeten die Zeitungen seinen Tod.

Ich habe diese Geschichte, deren Gegenstand in jenen Tagen sehr viel von sich reden machte, so niedergeschrieben, wie sie mir in der Erinnerung steht; und da dieses Haupterlebnis meiner Jugend sich natürlich in mein Gedächtnis sehr scharf einprägte, so glaube ich, daß die Erzählung, den wesentlichen Inhalt der angeführten Gespräche nicht ausgenommen, wahrheitsgetreu ist.

Ich habe bereits erwähnt, daß anfangs der sechziger Jahre Moritz Wiggers in der Leipziger Gartenlaube eine ausführliche Erzählung der Befreiung und Flucht Kinkels veröffentlichte. Aber das machte den mehr oder minder phantastischen Legenden, die darüber erzählt wurden, kein Ende. Im Gegenteil, es ist seither fast kein Jahr vergangen, während dessen ich nicht von verschiedenen Gegenden Deutschlands Zeitungsblätter und Briefe empfangen hätte, die darüber wunderlich ausgeschmückte Geschichten enthielten. Und noch immer kommen von

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s228.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)