Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s227.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

die ich in den deutschen Blättern zu lesen und in unserm ausgedehnten und täglich wachsenden Bekanntenkreise in Paris zu hören bekam, beunruhigten mich ernstlich. Das, was ich getan hatte, war mir nie als etwas gar so Absonderliches vorgekommen, daß es all diesen Lärm verdient hätte. Dann war mir auch stets der Gedanke gegenwärtig, daß ohne Brunes kühne Entschlossenheit im entscheidenden Augenblicke all mein Bemühen vergeblich gewesen wäre, und von Brune, der in jenen Tagen einer scharfen Untersuchung unterworfen war, durfte ich nicht sprechen, ohne ihn in gefährlicher Weise zu kompromittieren. So fühlte ich mich denn, indem ich meinen „Heldenruhm“ über mich ergehen ließ, wie einer, der sich’s gefallen läßt, mit fremden Federn geschmückt zu werden; und dieses Gefühl war mir in hohem Grade peinlich. Dazu kam noch, daß ich in jeder Gesellschaft, in der ich mich zeigte, ein übers andere Mal gefragt wurde: „Wie haben Sie denn diesen kühnen Streich ausgeführt? Erzählen Sie!“ Da ich nun nicht erzählte, weil ich nicht die ganze Wahrheit sagen durfte, so wurden neue Geschichten erfunden, die womöglich noch phantastischer waren als die alten. Dies wurde mir nachgerade so drückend, daß ich gar nicht mehr in Gesellschaft gehen mochte, und diejenigen, die zu mir kamen und mich mit Fragen bestürmten, fast unfreundlich abwies. So ist denn meine erste Erfahrung in der Rolle eines interessanten und populären Menschen keineswegs eine sehr lockende gewesen. Ich war in ernstlichem Zweifel, ob nicht die Bürde den Genuß überwog. Diese Erfahrung hat sich in meinem Leben mehr als einmal wiederholt.

Um nun die Erzählung dieser Episode zum Abschluß zu bringen, bleibt noch einiges über die weiteren Schicksale derjenigen nachzutragen, die bei der Befreiung Kinkels hauptsächlich tätig waren. Am Tage nach Kinkels Flucht aus Spandau fiel sogleich der Verdacht der Mitwirkung auf Brune. Er wurde unverzüglich gefangen gesetzt und eine Untersuchung über ihn angeordnet. Anfangs konnte man ihm nichts nachweisen; aber dann – so wurde berichtet – sperrte man mit ihm einen Polizeiagenten ein, den er nicht als solchen erkannte, und dem er unvorsichtigerweise seine Geschichte anvertraute. Er wurde darauf vor Gericht gestellt und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Nachdem er diese Strafe abgebüßt, zog er mit seiner Familie nach dem heimatlichen Westfalen, wo er mit seinem Gelde, das nicht entdeckt worden war, seiner Familie einen behaglichen Haushalt gründen konnte und unter seinen Landsleuten geachtet lebte. Als ich im Jahre 1888 von Amerika aus Deutschland besuchte und mein Aufenthalt in Berlin einige Aufmerksamkeit auf mich zog, empfing ich einen Brief, den ein Freund Brunes in seinem Auftrage an mich geschrieben hatte. Es hieß darin, daß Brune zurzeit Pförtner in einem großen Eisenwerk in Westfalen sei, daß es ihm gut gehe, obgleich er anfange, die Beschwerlichkeiten seines hohen Alters zu fühlen, und daß er gern wissen möchte, wie ich mich befände. Ich antwortete sogleich, gab ihm über mich die gewünschte Auskunft und bat um sein Bild. Derselbe Freund schrieb mir wieder, Brune habe sich über meinen Brief sehr gefreut, aber er sei in seinem Alter noch eigensinniger geworden, als er es früher gewesen; er habe sich nie wollen photographieren lassen und sei auch jetzt nicht

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s227.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)