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wünschten, aber er schüttelte den Kopf wie einer, der nicht verstand. So blieb uns denn nichts übrig als wieder „Beefsteak – Sherry“ zu sagen. Darauf nickte der Oberkellner, und beide verließen das Zimmer. Nach einer Weile trat ein dritter Mann ein, der nicht einen Frack, sondern einen schwarzen Gehrock trug. In dem Ausdruck seines Gesichts war noch mehr Autorität, als in dem des Oberkellners, und wir schlossen, das müsse der Wirt sein. Er betrachtete uns mit einer Art von Kennerblick und sprach dann zu uns in offenbar freundlichem Tone. Da wir aber wiederum kein Wort verstanden, so wiederholten wir unsere Rede von Beefsteak und Sherry und machten ihm durch Gebärden verständlich, daß wir hungrig seien. Zugleich hatte Kinkel den glücklichen Einfall, in die Tasche zu greifen und einige Goldmünzen hervorzuholen, die er dem Wirte auf der flachen Hand zeigte. Dieser lächelte schmunzelnd, machte eine kleine Verbeugung und entfernte sich.

Nach einer Weile brachte der Kellner, den wir zuerst gesehen hatten, ein paar brennende Kerzen auf silbernen Leuchtern und breitete ein Tischtuch über den runden Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand. Nachdem er in gutem Stil zwei Gedecke gelegt, erschien er wieder mit einer Suppenschüssel, die er vor einem der Gedecke niedersetzte. Nun nahmen wir vergnüglich Platz. Darauf hob der Kellner den silbernen Deckel von der Suppenschüssel mit mächtigem Schwunge auf, deutete mit dem Zeigefinger in die offene Schüssel und sagte langsam und nachdrücklich, indem er bei jeder Silbe dem Inhalt der Schüssel mit dem Finger einen Stoß zu geben schien: „Ox-tail-soup!“ Dann blickte er uns triumphierend an und trat hinter Kinkels Stuhl. Dies war meine erste Lektion im Englischen. Nun konnten wir nach der Ähnlichkeit mit den deutschen Wörtern uns wohl denken, was „ox“ und was „soup“ bedeutete; aber die Bedeutung des Wortes „tail“ wurde uns erst klar, als wir den Inhalt der Schüssel auf unsern Tellern erblickten. Wir fanden die Suppe köstlich, und damit war unser englischer Wortschatz um ein wertvolles Stück bereichert. Der Wirt war vernünftig genug gewesen, sich in der Ausführung unseres Wunsches nicht auf „Beefsteak“ und „Sherry“ zu beschränken, sondern uns ein vollständiges Mittagessen vorsetzen zu lassen, dem wir denn auch nach der langen Seefahrt und dem hungrigen Sonntagsspaziergang in der schottischen Hauptstadt alle Ehre erwiesen.

Wir waren, wieder am Kamin sitzend, mit unseren Nachtischzigarren beschäftigt, als der Wirt seinen Besuch wiederholte und uns mit freundlicher Miene etwas sagte, das wie die Frage klang, ob uns das Mittagessen gut geschmeckt habe, oder, was wir nun weiter wünschten. Durch allerlei sinnreiche Gebärden gaben wir ihm zu verstehen, daß wir Feder, Tinte und Papier haben wollten, um Briefe zu schreiben, und daß es dann unser Wunsch sein werde, zu Bett zu gehen. In allen Dingen wurde uns willfahren. Wir fügten nun den Briefen, die wir während der letzten beiden Tage auf dem Schiff an die Unsrigen in der Heimat geschrieben, noch mehrere hinzu. Es war ein unbeschreiblich glückliches Gefühl, daß wir uns nun den Lieben gegenüber wieder mit voller Freiheit aussprechen durften. Kinkel lud Frau Johanna zu

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s224.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)