Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s223.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und sahen uns ernstlich nach einem Gasthof oder wenigstens einem Speisehaus um. Aber umsonst. Wir fanden allerdings Gebäude genug, die ihrem Aussehen nach Gasthäuser oder Restaurationen hätten sein können, aber nirgends eine offene Tür. Ein paarmal versuchten wir einzutreten, aber vergeblich. Nun kam uns unsere Unkenntnis der englischen Sprache äußerst ungelegen. Weder Kinkel noch ich verstanden das mindeste davon. Wir besannen uns, was für englische Worte wir wohl zu Verfügung haben mochten und fanden nur zwei: „Beefsteak“ und „Sherry“. Einige der Vorübergehenden redeten wir auf Deutsch und auch auf Französisch an, aber alle Gefragten antworteten uns nach langem, erstauntem Anstarren in einer uns durchaus unverständlichen Zunge. Zuweilen jedoch schienen sie, wenn wir unsere beiden englischen Worte „Beefsteak“ und „Sherry“ ausgesprochen hatten, mit den Händen nach der Hafenstadt Leith hinunterzudeuten. Unsere Lage wurde immer bedenklicher. Die Sonne neigte sich bereits dem Untergange zu. Von dem langen Umherwandern waren wir recht müde geworden, und der Hunger fing an, uns ernstlich zu quälen. Es schien uns nichts übrig zu bleiben, als an Bord der „Kleinen Anna“ zurückzukehren und dort eine Mahlzeit und ein Nachtquartier zu suchen.

So wanderten wir denn wieder dem Hafen zu. Plötzlich bemerkten wir in der Hauptstraße von Leith an einem großen Hause, dessen Front mit der Inschrift „Black Bull Hotel“ geschmückt war, eine offene Tür. Sogleich traten wir ein. Unmittelbar von der Türe führte eine Treppe in das obere Stockwerk hinauf. Diese stiegen wir hinan und erreichten einen geräumigen Vorplatz mit verschiedenen Türen, von denen eine halb offen stand. Durch diese blickten wir in einen kleinen von einem Kaminfeuer behaglich erhellten Salon. Ohne langes Bedenken traten wir ein, setzten uns zu beiden Seiten des Kamins in bequeme Armstühle nieder, zogen die Klingelschnur und erwarteten die weiteren Fügungen des Schicksals. Nach wenigen Minuten erschien in der Tür ein Mann in schwarzem Frack mit weißer Halsbinde und einer Serviette über dem Arm – offenbar ein Kellner. Als er die beiden fremdartigen Gestalten am Kamin sitzen sah, durch das rötlich flackernde Licht des Feuers vielleicht noch abenteuerlicher in ihrer Erscheinung gemacht, fuhr er zurück und stand einen Augenblick stumm und unbeweglich da mit großen Augen und halbgeöffnetem Munde. Wir konnten uns des Lachens nicht enthalten, und wie er uns lachen sah, so lächelte er auch, aber mit einem zweifelvoll ängstlichen Gesichtsausdruck. Dann sprachen wir unsere beiden englischen Worte aus: „Beefsteak – Sherry“. Der Kellner stammelte eine Antwort, die uns durchaus unverständlich war, und zum Zeichen dessen zuckten wir die Achseln. Er schob sich darauf hinterwärts zur Türe hinaus und verschwand.

Bald kam er wieder mit einem andern Manne, auch in Frack und weißer Halsbinde, der uns den Eindruck eines Oberkellners machte, denn es war etwas wie Autorität in seiner Miene. Beide starrten uns an und wechselten einige Worte unter sich. Wir lachten, und der neue Ankömmling lächelte ebenfalls. Dann sagte er uns etwas auf Englisch, das wie eine Frage klang. Wir antworteten ihm auf Deutsch und dann auf Französisch, daß wir ein Mittagessen und ein Nachtquartier

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s223.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)