Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s217.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Dampfer, und dankbaren Herzens riefen wir ihnen Lebewohl zu. Zum letzten Abschied feuerten sie ein Salut mit ihren Pistolen und dampften dann nach Warnemünde zurück, wo, wie Wiggers erzählt, die ganze Gesellschaft das gelungene Rettungswerk mit einem höchst fröhlichen Mahle feierte.

Kinkel und ich blieben an der hintern Schanzkleidung des Schiffes stehen und sahen dem Dampfer nach, der unsere guten Freunde davontrug. Dann ruhten unsere Blicke auf der heimatlichen Küste, bis der letzte Streifen davon in der Abenddämmerung verschwunden war. So nahmen wir stillen[1] Abschied vom Vaterlande. In unserer wortkargen Unterhaltung tauchte mehr als einmal die Frage auf: „Wann werden wir wohl zurückkehren?“ Daß eine siegreiche Volkserhebung uns zurückführen werde, hofften wir beide mit Zuversicht. Es war eine Hoffnung, von heißem Wunsche geboren und von sanguinischen Einbildungen genährt. Was würden wir wohl dem Propheten geantwortet haben, der uns in jenem Augenblicke gesagt hätte, daß ich zuerst, mehr als zehn Jahre später, den deutschen Boden wieder betreten werde, aber dann als Gesandter der Vereinigten Staaten von Amerika auf meiner Rückreise von Spanien nach meinem neuen Vaterlande, und daß Kinkel warten müsse, bis ihm, nach einem Kriege zwischen Preußen und Österreich, der ehemalige Prinz von Preußen, dann König und Präsident des norddeutschen Bundes, das Tor der alten Heimat durch eine Amnestie würde aufgeschlossen haben!

Wir verließen das Deck erst, als es dunkel geworden war. Die Kajüte des Schoners war sehr klein. Ihr erster Anblick schon hatte mir eine Illusion zerstört. Ich hatte vorher nur einmal ein Seeschiff gesehen, – nämlich eine Brigg, die zur Zeit, als ich noch das Gymnasium besuchte, von Holland den Rhein heraufgebracht worden war und bei Köln ankerte. Aber dieses Seeschiff konnte ich damals nur von außen anschauen. Meine Vorstellung von dem Innern eines solchen Schiffs hatte ich aus den Seeromanen und Beschreibungen von Seekriegen geschöpft, die ich als Knabe gelesen; und so stand mir die Hauptkajüte eines Schiffs vor Augen als ein geräumiges Gemach, mit Möbeln wohl ausgestattet und die getäfelten Wände mit geschmackvoll gruppierten Flinten, Pistolen und kurzen Handschwertern geschmückt. Von all diesem erblickte ich in der Kajüte der „Kleinen Anna“ nichts. Diese maß der Schiffsbreite nach, zwischen den an den Seiten befindlichen Schlafkojen, kaum mehr als acht Fuß, und in der andern Richtung nicht über sechs. Sie war so niedrig, daß Kinkel aufrechtstehend mit dem Scheitel die Decke erreichte. In der Mitte stand ein kleiner, an den Fußboden festgeschraubter Tisch und dahinter ein mit schwarzem Haartuch überzogenes Sofa, das Kinkel und ich nebeneinander sitzend vollständig ausfüllten. Über dem Tische hing eine Lampe von der Decke herab, die nachts den Raum spärlich beleuchtete. Die Schlafkojen, die in der Eile für uns hergerichtet wurden, waren ein paar Fuß über den Boden erhaben und offen, so daß wir, wenn wir zu Bett lagen, einander sehen konnten. Diese Einrichtungen erschienen allerdings sehr verschieden von denen der stolzen Ostindienfahrer und Fregatten, die ich in meinen Büchern so anschaulich und verlockend beschrieben gefunden; aber nach der ersten

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: stilleu
Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s217.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)