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Wenn ich in einer Luke den Schein einer in senkrechter Linie auf und ab bewegten Laterne sähe, so würde das ein Zeichen sein, daß oben alles gut stehe und Kinkel bereit sei, heruntergelassen zu werden. Wenn ich dann, in meiner Türnische stehend, mit Stahl und Stein Funken schlüge, so würde Brune das als ein Signal verstehen, daß unten auf der Straße alles in Ordnung sei, um Kinkel zu empfangen.

Mit herzlichem Händedruck nahm ich von Brune Abschied und eilte nach Krügers Gasthaus. Poritz und Leddihn, die ich rasch herbeiholen ließ, besorgten sofort ein Seil von gehöriger Stärke und Länge und trugen es nach Brunes Wohnung. Aber wie sollten wir Kinkel fortschaffen? Ich hatte keine Relais von Pferden und Wagen mehr auf der Landstraße. In der vergangenen Nacht hatte alles so vortrefflich geklappt. Aber was nun? Zum Glück fand ich Hensel noch bei Krüger. Auf die Nachricht, was nun in wenigen Stunden geschehen solle, brach er in lauten Jubel aus.

„Ich fahre Sie, so weit meine Pferde laufen können,“ rief er aus.

„Unser nächster Freund wohnt in Neustrelitz,“ entgegnete ich. „Das ist mehrere Poststationen von hier. Werden Ihre Pferde es bis dahin aushalten können?“

„Der Teufel hole sie, wenn sie’s nicht tun!“ sagte Hensel.

Wir mußten es daraufhin wagen und uns dem Schicksal anvertrauen.

Ein kurzes Gespräch mit Poritz und Leddihn folgte über die Maßregeln, die nötig waren, um die Straße gegen unwillkommene Eindringlinge zu sichern, während Kinkel seinen Seilschwung machte. Die Vorkehrung war einfach. Die Straßenecken auf beiden Seiten sollten meine Freunde mit ihren handfesten Genossen von der vorigen Nacht besetzen und, wenn sich etwa ein verspäteter Nachtwandler zeigte, sich angetrunken stellen und den Unwillkommenen mit munteren Schnurren zurückhalten und von dem verbotenen Wege ablenken. Im Notfalle sollte auch Gewalt gebraucht werden. Leddihn und Poritz verbürgten sich für die Ausführung.

„Köstliches Zusammentreffen,“ schmunzelte Krüger. „Heute abend wird hier im Hause Geburtstag gefeiert und mehrere Zuchthausbeamte werden dabei sein. Es gibt eine Bowle Punsch. Ich werde den Punsch besonders gut machen.“

„Und Sie werden die Beamten festhalten?“

„Ob ich sie festhalten werde! Von denen kommt Ihnen keiner in die Quere.“

Dieses Bild versetzte uns in die heiterste Laune, und wir hatten ein gemütliches kleines Souper zusammen. Unsere Gedanken waren jedoch beständig auf die Zufälle gerichtet, die uns wieder einen bösen Streich spielen könnten, und zur rechten Zeit fiel uns noch ein wichtiger Umstand ein.

Wenn Kinkel an dem Seil aus der Dachluke herunterkäme und das Seil über die Kante schnurrte, so konnte es leicht Dachschiefer oder gar Mauerziegel loslösen, die dann herunterfallen und ein lautes Geklapper machen würden. Wir verabredeten daher, daß Hensel mit seinem Wagen kurz nach zwölf langsam die Potsdamer Straße entlang am

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s207.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)