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Ich schlief die Nacht in Spandau und brachte den größten Teil des folgenden Tages damit zu, daß ich mit Krüger, Leddihn und Poritz jede mögliche Chance des Unternehmens durchsprach, um für alle bis dahin noch nicht vorgesehenen Fälle Vorsorge zu treffen. Endlich brach die Dunkelheit ein. Ich packte das Geld für Brune wohlgezählt in eine kleine Zigarrenkiste und ging nach seiner Wohnung. Ich fand ihn in seiner ärmlichen, aber sauberen Stube allein, händigte ihm die Zigarrenkiste ein und sagte: „Hier ist es; zählen Sie es.“

„Da kennen Sie mich schlecht“, antwortete er. „Wenn’s bei uns nicht aufs Wort ginge, hätten wir nichts miteinander anfangen sollen. Was von Ihnen kommt, zähle ich nicht nach.“

„Ist irgend etwas an unserm Plane zu ändern?“

„Nichts.“

„Auf Wiedersehen also heute nacht!“

„Auf Wiedersehen und gut Glück!“

In der Tat hatten wir guten Grund, das Gelingen unseres Planes mit Zuversicht zu erwarten, wenn uns nur der Zufall keinen Strich durch die Rechnung machte. Das Zuchthaus lag in der Mitte der Stadt – ein großes, kasernenartiges Gebäude, dessen kahle Wände von einem Tor und einer Menge enger Fensterluken durchbrochen waren –, auf allen vier Seiten von Straßen umgeben. Nach der Hauptstraße zu befand sich das Tor, durch das man zunächst in einen großen Torweg trat. Innerhalb des Torwegs gab es auf der rechten Seite eine Tür, die in die Amtswohnung des Gefängnisdirektors, und auf der linken eine andere, die in die Soldatenwachtstube führte. Am Ende des Torwegs öffnete sich eine dritte Tür auf einen innern Hof. Eine steinerne Treppe, die in den Torweg mündete, verband das Erdgeschoß mit den oberen Stockwerken. Auf dem zweiten Stockwerke über dem Erdgeschoß lag Kinkels Zelle. Sie hatte ein Fenster nach der Rückseite des Gebäudes. Dieses Fenster war durch einen Blechkasten verwahrt, der, an der unteren Seite fest an die Mauer geschlossen, sich nach oben schief öffnete, so daß das Tageslicht von oben einfiel und von der Zelle aus nur ein kleines, quadratisch abgegrenztes Stückchen Firmament, von der irdischen Umgebung aber gar nichts sichtbar war. Außerdem hatte das Fenster starke Eisenstäbe, ein enges Drahtgitter und einen hölzernen Laden, der nachts verschlossen wurde, – kurz, all die Vorkehrungen, die gewöhnlich angewandt werden, um einen Gefangenen von aller Verbindung mit der Außenwelt abzuschließen. Außerdem war die Zelle durch ein starkes vom Fußboden bis zur Decke reichendes Lattengitter mit ebenso starken Querriegeln in zwei Abteilungen geschieden. In der einen stand Kinkels Bett; in der andern hatte er während des Tages seine Arbeit zu verrichten. Die beiden Abteilungen waren durch eine Tür im Lattengitter verbunden, die abends verschlossen wurde. Der Eingang der Zelle von dem Treppenflur aus war mit zwei schweren, mit mehreren Schlössern versehenen Türen verwahrt. Auf der Straße, nach welcher Kinkels Zelle hinaus sah, stand Tag und Nacht eine Schildwache. Ein anderer Posten bewachte während des Tages das Tor des Gebäudes an der Hauptstraße, wurde aber des Nachts auf den inneren Hof versetzt – eine Einrichtung, die uns

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s201.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)