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scheinbare Vorbereitung mich auf den Gipfel der Hoffnung geführt haben, um mir unter irgendeinem schlauen Vorwande das Geld abzulocken und mich dann um so leichter zu verderben?

Auf der andern Seite – konnte Brune denn eigentlich anders handeln, auch wenn er es ehrlich meinte? Konnte er seine Frau und seine Kinder der Laune des Zufalls preisgeben? Mußte er nicht, um die Seinigen sicherzustellen, das Geld im voraus verlangen? Würde ich nicht in seiner Lage gerade so handeln wie er?

Ferner, sah Brune aus wie ein Verräter? Konnte ein Verräter mir so in die Augen blicken und so zu mir sprechen, wie Brune? War sein gerades, offenes, biederes, ja stolzes Wesen das eines Menschen, der einen andern in einen Hinterhalt lockt, um ihn zu berauben? Unmöglich.

Und schließlich, wie konnte ich hoffen, zu gewinnen, wenn ich nicht wagen wollte? Sollte ich die Befreiung meines Freundes aufgeben, weil ich Brune eine Forderung zu bewilligen zauderte, die jeder andere unter denselben Umständen an mich stellen würde? Es war klar, wollte ich Kinkel seinem furchtbaren Schicksal entreißen, so mußte ich auch meine Ehre aufs Spiel setzen.

Der Gedanke, das Geld für Brune in dritter Hand zu hinterlegen, war mir natürlich auch gekommen, aber ich verwarf ihn, teils, weil das zu neuen Verwicklungen hätte führen können, teils auch, weil ich, wenn nun einmal gewagt werden mußte, in einer Weise zu wagen vorzog, die von Brune als ein Beweis meines Vertrauens in seine Ehrlichkeit genommen werden mußte.

Ich erinnere mich, daß der Krieg in Schleswig-Holstein, damals auf deutscher Seite nur von der schleswig-holsteinischen Armee geführt, noch im Gange war. In diese Armee, dachte ich, könnte ich unter irgendeinem Namen als Freiwilliger eintreten und auf dem Schlachtfelde mein Schicksal suchen, wenn mein Unternehmen in Spandau fehlschlüge und das Geld verloren ginge, ich persönlich aber davonkäme. Meine Freunde würden dann wenigstens an meine Ehrlichkeit glauben. Dies war der Gang meiner Überlegung, die mich zu dem Entschlusse führte, Brune das Geld vor der Erfüllung seines Versprechens in die Hand zu geben. Ich war eben mit mir selbst darüber einig geworden, als Herr Krüger anklopfte und sagte, Poritz und Leddihn seien unten; ob ich noch etwas zu bestellen hätte. „Ja,“ antwortete ich, „ich möchte sie bitten, mir Brune in einer Viertelstunde noch einmal auf den Heinrichsplatz zu bringen.“

In einer Viertelstunde fand ich Brune dort mit meinen Freunden. Ich nahm ihn abseits.

„Herr Brune,“ sagte ich, „ich wollte Sie nicht mit einem Zweifel zu Bett gehen lassen. Wir sprachen von dem Geld. Das Geld ist mir anvertrautes Gut. Meine Ehre hängt daran. Ich vertraue Ihnen ganz, Geld, Ehre, Freiheit, alles. Sie sind ein braver Mann. Ich wollte Ihnen heute nacht noch sagen, daß ich Ihnen morgen abend um fünf Uhr das Geld in Ihre Wohnung bringen werde.“

Brune schwieg eine Augenblick. Endlich atmete er auf und sagte: „Ich hätt’s auch wirklich ohne das getan. Morgen um Mitternacht ist Ihr Freund Kinkel ein freier Mann.“

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s200.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2021)