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Der Boden, auf dem wir uns ausstreckten, war gedielt und mit zollhohem weißem Staube bedeckt. In diesem Staub lagen wir nun mit unsern nassen Kleidern. Aber wir fühlten uns wenigstens vorläufig sicher. Es war ungefähr ein Uhr nachmittags, als wir unser neues Asyl bezogen. Wir warteten ruhig, bis unser Freund uns den nötigen Mundvorrat bringen würde, um dann mit ihm weitere Rettungspläne zu überlegen. Nun hörten wir die Turmuhr zwei Uhr schlagen, und drei, und vier, aber unser Mann kam noch immer nicht zurück. Kurz nach vier Uhr wurde es in dem Schuppen unter uns sehr lebhaft. Aus dem Sprechen und Rufen und Poltern, das wir hörten, schlossen wir, daß ein Trupp Reiter gekommen und damit beschäftigt sei, den Schuppen zur zeitweiligen Unterbringung von Kavalleriepferden einzurichten. Die Pferde kamen bald an und auf allen Seiten schwärmte es von Soldaten. Durch die Ritzen der Bretterwände unseres Dachraumes konnten wir sie deutlich sehen. Unsere Lage wurde nun wieder eine äußerst kritische. Wäre es einem der Soldaten eingefallen, den Verschlag zu untersuchen und nachzusehen, was es in dem Dachraum geben möchte, so war unsere Entdeckung unvermeidlich. Irgend ein Geräusch, ein Husten oder Niesen unsererseits würde uns verraten haben. Wir gaben uns Mühe, möglichst leise zu atmen und sehnten uns nach der Nacht. Die Nacht kam, und wir waren noch unentdeckt, aber der Freund, auf dessen Beistand wir rechneten, hatte sich noch immer nicht wieder gezeigt.

Wir fingen an, recht hungrig und durstig zu werden und hatten weder einen Bissen noch einen Schluck. Der Rest unseres Branntweins war auf dem eiligen Lauf von dem Kanal nach dem Hause der Base verloren gegangen. Nun lagen wir still wie Tote. Nach und nach wurde es ruhiger im Schuppen, und bald hörten wir einige Leute schnarchen, andere von Zeit zu Zeit umhergehen, – wahrscheinlich die Stallwache. Wir fürchteten uns, selbst zu schlafen, obgleich wir sehr erschöpft waren; schließlich aber verständigten wir uns mit leisem Geflüster dahin, abwechselnd zu schlafen und zu wachen und den jeweiligen Schläfer zu wecken, wenn er zu schwer atmete. So ging die Nacht vorüber und der Morgen brach an, aber unser Helfer kam noch immer nicht. Mittag, Nachmittag, Abend – der ganze zweite Tag dahin –, aber von unserm Freunde keine Spur. Da lagen wir still und steif, von feindlichen Soldaten umgeben, und mit jedem Augenblick schien die Aussicht auf Hülfe immer mehr zu schwinden. Der Durst fing an uns sehr zu quälen. Glücklicherweise setzte während der Nacht wieder ein starker Regen ein. Über meinem Kopf befand sich im Dache ein gebrochener Ziegel und durch das Loch, klein wie es war, tröpfelte das Regenwasser herab. Ich fing etwas davon in der hohlen Hand auf und gewann so einen erquickenden Trunk. Meine Gefährten folgten meinem Beispiel. Wieder wurde es Morgen und unsere Hoffnung auf die Rückkehr unseres Freundes sank und sank. Die Turmuhr schlug Stunde nach Stunde, und keine Hülfe. Unsere Glieder begannen von dem starren Liegen zu schmerzen, und doch konnten wir kaum wagen, unsere Lage zu ändern. Drei Tage und zwei Nächte waren wir nun ohne Nahrung gewesen und ein ungewohntes Gefühl der Schwäche trat ein. So kam die dritte Nacht. Alle Hoffnung auf das Kommen unseres

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s151.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)