Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s135.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

allerdings vorkommen, aber doch nur ausnahmsweise. Gewöhnlich wenden sich die Gedanken am Morgen vor der Schlacht einer Menge von Dingen prosaischer Natur zu, unter denen das Frühstück eine nicht unwichtige Stelle einnimmt. So ging es uns auch an jenem Morgen in Ubstadt. Wir waren beizeiten im Sattel und sahen bald in einiger Entfernung vor unserer Front blinkende Lanzenspitzen auftauchen, die sich uns mit mäßiger Schnelligkeit näherten. Dies bedeutete, daß die Preußen eine oder mehrere Schwadronen Ulanen als Plänkler vorgeschickt hatten, denen die Infanterie und Artillerie demnächst zum Angriff folgen würden. So verschwanden denn die Ulanen, nachdem sie aus ihren Karabinern einige Schüsse abgegeben, die von unserer Seite erwidert wurden, und dann entwickelte sich immer lebhafter das Geknatter des Infanteriefeuers. Bald wurden auch auf beiden Seiten Geschütze aufgefahren und die Kanonenkugeln flogen mit ihrem eigentümlichen Sausen herüber und hinüber, ohne viel Schaden zu tun. Anfangs war meine Aufmerksamkeit gänzlich in Anspruch genommen durch die Befehle, die mein Chef mir zu überbringen oder auszuführen gab. Aber nachdem unsere Artillerie postiert war und wir ruhig zu Pferde in ihrer Nähe hielten, hatte ich Muße genug, mir meine Gedanken und Gefühle zum Bewußtsein kommen zu lassen. Ich erlebte da wieder eine Enttäuschung. Ich war zum erstenmal „im Feuer“. Ganz ruhig fühlte ich mich nicht. Die Nerven waren in nicht gewöhnlicher Erregung. Aber diese Erregung war weder die der heroischen „Kampfesfreude“, noch die der Furcht. Da die feindlichen Geschütze zunächst ihr Feuer auf unsere Artillerie richteten, so sauste eine Kanonenkugel nach der anderen dicht über unsere Köpfe, wo wir standen. Ich fühlte zuerst eine starke Neigung, wenn ich dies Sausen recht nahe über mir hörte, mich zu ducken; aber es fiel mir ein, daß sich dies für einen Offizier nicht schicke, uns so blieb ich denn stramm aufrecht. Ebenso zwang ich mich, nicht zu zucken, wenn eine Musketenkugel dicht bei meinem Ohr vorbeipfiff. Die Verwundeten, die vorübergetragen wurden, erregten mein lebhaftes Mitgefühl; aber der Gedanke, daß mir im nächsten Augenblick ähnliches passieren könne, kam mir nicht in den Sinn. Ich sah ein Volkswehrbataillon, welches gegen eine feindliche Batterie geführt worden war, in Unordnung zurückkommen und sprengte, einem plötzlichen Impuls gehorchend, hinüber, um das Bataillon ordnen und wieder vorführen zu helfen, – war aber auch ganz zufrieden, als ich bemerkte, wie der Bataillonsführer dies selbst besorgte. Als nun später mein Chef mich wieder mit Befehlen hin und herschickte, verging mir das bewußte Empfinden ganz, und ich dachte an nichts als den auszuführenden Auftrag und den Gang des Gefechts, wie ich ihn beobachten konnte. Kurz, ich fühlte wenig oder nichts von jenen stürmischen, unwiderstehlichen Erregungen, die ich mir als unzertrennlich von einer Schlacht gedacht hatte, glaubte jedoch die Überzeugung gewonnen zu haben, daß ich mich unter ähnlichen Umständen immer werde anständig benehmen können.

Übrigens war das Gefecht bei Ubstadt eine verhältnismäßig geringfügige Affäre, – von unserer Seite nur dazu bestimmt, den Feind eine kurze Weile in seinem Vormarsch aufzuhalten, bis sich die badische

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s135.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)