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zurückschrecken, oder, wenn nicht, daß die preußische Landwehr sich weigern werde, auf ihre für das gemeinsame Recht aufgestandenen Brüder zu schießen. Was die Landwehr nun auch getan haben möchte, hätte ein mit kühner Entschlossenheit und Siegesmut vordringendes Volksheer sie auf ihrem eigenen Boden aufgesucht und so an ihre Sympathie appelliert – man könnte schwerlich von ihr erwarten, daß sie sich für eine ängstlich zurückhaltende und anscheinend sich selbst aufgebende Sache opfern werde. Aber wie klar dies auch zurzeit den badischen und pfälzischen Führern hätte sein sollen, die provisorischen Regierungen beharrten darauf, innerhalb der Landesgrenzen den Angriff zu erwarten.

Ich kann mich nicht rühmen, die Situation damals so klar durchschaut zu haben wie später. Freilich hatte ich eine Ahnung davon; aber dann tröstete ich mich mit dem Gedanken, die Führer, viel ältere Leute als ich, müßten doch besser wissen, was zu tun sei; und schließlich hielt mich mein hoffnungsvoller Jugendmut aufrecht, der mir wieder und wieder sagte, eine so gerechte Sache, wie die unsrige, könne unmöglich untergehen. Schon am Tage nach meiner Ankunft in Kaiserslautern hatte ich mich in eins der Volkswehrbataillone, die organisiert wurden, als Soldat wollen einreihen lassen. Aber Anneke riet mir, damit nicht zu eilig zu sein, sondern mich ihm anzuschließen; da er Chef der pfälzischen Artillerie sei, so könne er mir eine meinen Fähigkeiten mehr angemessene Stellung verschaffen. In der Tat brachte er mir ein paar Tage darauf ein Leutnantspatent, das er mir von der provisorischen Regierung erwirkt hatte, und so wurde ich Aide-de-Camp im Stabe des Artilleriechefs. Kinkel fand Verwendung als einer der Sekretäre der provisorischen Regierung. Die pfälzische Artillerie bestand nur aus den Böllern der rheinhessischen Freikorps, aus einem halben Dutzend ähnlicher kleiner Kanonen, von denen man sagte, sie würden im Gebirgskriege recht nützlich sein, und aus einer später von der badischen provisorischen Regierung erstandenen Sechspfünderbatterie. Das Wirkungsfeld des Artilleriechefs und seines Stabes war also ein sehr beschränktes, und ich ließ mir’s gefallen, bis zum Ausbruch der Feindseligkeiten auch in politischen Angelegenheiten beschäftigt zu werden. So hatte ich zuweilen bei Volksversammlungen mitzuwirken, welche man zur Anfeuerung des patriotischen Eifers veranstaltete; und einmal wurde mir sogar der Auftrag, als Kommissar der provisorischen Regierung die Verhaftung eines katholischen Pfarrers zu bewerkstelligen, der seinen Einfluß in seiner Gemeinde – einem großen Bauerndorf von etwa 3000 Einwohnern – offen dazu benützte, die jungen Leute von dem Eintritt in die Volkswehr abzuhalten. Dies galt nun für eine Art von Hochverrat an der neuen Ordnung der Dinge. Da der Pfarrer für desperat genug gehalten wurde, sich dem Verhaftsbefehl der provisorischen Regierung gegenüber zur Wehr zu setzen, so wurde mir eine Abteilung Volkswehr von etwa 50 Mann mitgegeben, um mir bei der Ausführung meines Auftrags Hülfe zu leisten. Diese bewaffnete Macht sah allerdings nicht sehr achtunggebietend aus. Der sie kommandierende Leutnant war in gewöhnlichen Zivilkleidern, aber mit einem befiederten Kalabreserhut, einer schwarz-rot-goldenen Schärpe und einem Säbel ausgestattet.

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s128.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)