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seiner Gegenwart auf einen Augenblick den Schulknaben zu vergessen. Er erzählte mir gern von seinen Reisen und von den sozialen und politischen Einrichtungen und Händeln der Welt; und wenn die Rede auf Kirche und Staat kam, so sprach er nicht selten mit einem Anflug von Ironie, der mich merken lassen sollte, daß in seiner Meinung da manches anders sein dürfte. Er ermutigte auch Meinungsäußerungen meinerseits, und es machte ihm Vergnügen, zu sehn, daß ich nachgedacht hatte über diese und jene Dinge, die nicht gerade in dem gewöhnlichen Gedankenkreise der Schulbank lagen. Und wenn ich dann, so ermutigt, auch meiner Kritik des Bestehenden freimütigen Ausdruck gab, so hörte er wohl mit beistimmendem Lächeln zu, meinte aber zuweilen, so etwas dürften wir wohl unter uns ohne Rückhalt äußern, doch sei es geraten, im Gespräch mit weniger vertrauten Personen vorsichtiger zu sein.

Auch auf andere Weise erweiterte er meinen Horizont. Aus seiner Privatbibliothek lieh er mir mehreres von Goethe und von Schriftstellern der jüngeren Zeit. Selbst die Literaturen des Auslandes eröffnete er mir. Er gab mir die Schlegel-Tiecksche Übersetzung aus Shakespeare in die Hand, die ich mit Begierde verschlang. Auch machte er mich mit Cervantes und Calderon bekannt. Die Anfangsgründe des Italienischen lehrte er mich selbst, las mit mir die „Gefängnisse“ des Silvio Pellico im Original und Teile des Tasso und Ariost in Übersetzungen. So ging mir durch ihn eine neue Welt auf, und als eines der Wohltäter meiner Jugend gedenke ich seiner mit Dankbarkeit.

Auch mit ihm bin ich im späteren Leben wieder in Berührung gekommen. Gegen Mitte der siebziger Jahre, als ich Mitglied des Senats der Vereinigten Staaten war, empfing ich eines Tages durch die europäische Post ein Paket, das einen Brief von Professor Pütz mit einigen gedruckten Blättern enthielt. „Ich habe Ihnen oft Ihr Pensum korrigiert“, schrieb er, „nun korrigieren Sie mir einmal das meinige.“ Dann teilte er mir mit, er bereite soeben eine neue Ausgabe seines Leitfadens zur Weltgeschichte vor und wünsche mein Urteil zu haben über den Teil, der die jüngsten Ereignisse in Amerika betreffe. Diesen legte er mir auf den beifolgenden Blättern vor. Mit Freuden erfüllte ich seinen Wunsch und fand seine Darstellung in allen Einzelheiten so richtig, daß sie nicht der geringsten Korrektur bedurfte. Meine nächste Reise in Deutschland benutzte ich dazu, ihn aufzusuchen, und traf ihn in Köln. Von seinem Lehramt hatte er sich zurückgezogen und lebte in behaglichen Verhältnissen. Ich fand ihn allerdings sehr gealtert, aber noch lebhaften Geistes. Unser Wiedersehen war uns beiden eine herzliche Freude und wir feierten es mit einem heiteren Souper.

Mit meinem Eintritt in die höheren Klassen des Gymnasiums begann nun auch der Einfluß der jugendlichen Freundschaften auf mich zu wirken. Nach dem Ablauf des dritten Jahres hatte ich die Wohnung bei dem Schlossermeister aufgegeben und daran war die Musik schuld. Ich setzte meinen Klavierunterricht beständig und mit Liebe fort; aber da es in der Schlosserei kein Instrument gab, so mußte ich

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 045. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s045.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)