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Attentaten auf den König Louis Philipp in Frankreich; von dem Karlistenkrieg in Spanien und den Generälen, deren Namen mir so wunderbar musikalisch klangen; von der Verhaftung des Erzbischofs von Köln wegen jesuitischer Umtriebe gegen die preußische Regierung, ein Ereignis, das mich besonders aufregte, usw. Von dem, was ich so hörte, war mir vieles zuerst wenig mehr als bloßer Schall. Aber ich ließ es dann nicht an Fragen fehlen, die mir mein Vater oder Ohm Ferdinand, so gut es ging, beantworten mußte. Obgleich dadurch der Geist des Knaben nur wenig klares Verständnis gewann, so wurde doch schon früh in ihm das Gefühl geweckt, daß wir in unserm kleinen Dorfe ein Teil einer großen Welt seien, deren Kämpfe uns angingen und unsere Aufmerksamkeit und Teilnahme verlangten. Und dieses Interesse blieb mir von jener Zeit an. Auch hörte ich in diesem Familienkreise zuerst von Amerika sprechen. Eine Bauernfamilie von Liblar, namens Trimborn, entschloß sich, nach den Vereinigten Staaten auszuwandern. Noch steht mir das Bild lebhaft vor Augen, wie eines Nachmittags ein mit Kisten und Hausgerät beladener Lastwagen sich von Trimborns Hause in Bewegung setzte, wie die Familie von den Dorfleuten Abschied nahm, wie eine große Schar den Auswanderern bis vor das Dorf das Geleit gab, und wie dann der Wagen auf dem Wege nach Köln im Walde verschwand. Eine andere uns befreundete Familie namens Kribben, aus einem benachbarten Dorf, folgte bald den Trimborns, um sich in Missouri niederzulassen, wo ich sie viele Jahre später wiedersah, und wo einer der Söhne ein hervorragender Mann wurde. Unterdessen wurde von meinem Vater und meinen Oheimen Amerika eifrig besprochen. Da hörte ich denn zum ersten Male von dem unermeßlichen Lande jenseits des Ozeans, seinen ungeheuren Wäldern, seinen großartigen Seen und Strömen, von der jungen Republik, wo es nur freie Menschen gäbe, keine Könige, keine Grafen, keinen Militärdienst und, wie man in Liblar glaubte, keine Steuern. Alles was über Amerika Gedrucktes aufgetrieben werden konnte, wurde mit Begierde gelesen, und so sah ich im Pfennigmagazin zum erstenmal das Bildnis Washingtons, den mein Vater den edelsten aller Menschen in der Geschichte der Welt nannte, da er als Feldherr im Kriege für die Befreiung seines Volkes große Heere kommandiert und dann, statt sich zum König zu machen, all seine Gewalt freiwillig niedergelegt und wieder als einfacher Landwirt den Pflug in die Hand genommen habe. An diesem Beispiele erklärte mein Vater mir, was ein „Freiheitsheld“ sei. Dann schwärmten die Männer unseres Familienkreises nach Herzenslust in jener Blockhausromantik, die für die Phantasie des mit dem amerikanischen Leben unbekannten Europäers, besonders des Deutschen, so großen Zauber gehabt hat, und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre auch von ihnen der Beschluß der Auswanderung schon damals gefaßt worden. Obgleich es nicht so bald dazu kam, so blieb doch Amerika in der Familie ein beliebter Gesprächsgegenstand, der durch die Ankunft von Briefen der Trimborns und Kribbens, die mit Sehnsucht erwartet und mit Eifer gelesen wurden, immer erneuertes Interesse gewann.

Auch unter den älteren Leuten außerhalb der Familie fand ich

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 017. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s017.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)