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indem er die Hand küßte, daß Sie keinen ergebenern, zärtlichern, treuern und verschwiegenern Diener hätten finden können.

Wie beruhigt fühlte sich nach dieser Erklärung die schöne Frau. Sie scheute sich nicht ihm ihre Zärtlichkeit aufs lebhafteste zu zeigen; sie drückte seine Hände, drängte sich näher an ihn und legte ihr Haupt auf seine Schultern. Nicht lange blieben sie in dieser Lage, als er sich auf eine sanfte Weise von ihr zu entfernen suchte, und nicht ohne Betrübniß zu reden begann: Kann sich wohl ein Mensch in einem seltsamern Verhältnisse befinden? ich bin gezwungen mich von Ihnen zu entfernen und mir die größte Gewalt anzuthun, in einem Augenblicke, da ich mich den süßesten Gefühlen überlassen sollte. Ich darf mir das Glück, das mich in Ihren Armen erwartet, gegenwärtig nicht zueignen. Ach! wenn nur der Aufschub mich nicht um meine schönsten Hoffnungen betrügt.

Die Schöne fragte ängstlich nach der Ursache dieser sonderbaren Aeußerung.

Eben als ich in Bologna, versetzte er, am Ende meiner Studien war und mich aufs äußerste angriff, mich zu meiner künftigen Bestimmung geschickt zu machen, verfiel ich in eine schwere Krankheit, die, wo nicht mein Leben zu zerstöhren, doch meine körperlichen und Geistes-Kräfte zu zerrütten drohte. In der größten Noth und unter den heftigsten Schmerzen that ich der Mutter Gottes ein Gelübde, daß ich, wenn sie mich genesen ließe, ein Jahr lang in strengem Fasten zubringen und mich alles Genusses, von welcher Art er auch sey, enthalten

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 4-61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_2-1795.pdf/69&oldid=- (Version vom 1.8.2018)