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Die Liebe zur Heimat, die Pflege und Erhaltung der heimischen christlichen Volkssitte, ist in unserer Zeit, in der so mannigfache zersetzende Einflüsse zur Herrschaft gelangt sind, schon oft als ein wichtiges Mittel angerufen worden, um dem Verfall der Gesellschaft und dem Umsturz Halt zu gebieten. Um dieser heilkräftigen Bewegung auch bei uns in Sachsen Eingang zu verschaffen, dazu mußte ihr ein starker und kräftigwirkender Anstoß gegeben werden. Hierzu fand sich eine günstige Gelegenheit auf der Ausstellung des Sächsischen Handwerks und Kunstgewerbes im Sommer 1896 in Dresden. Die neben dem Ausstellungsparke errichtete altdeutsche Stadt und das lausitzer Dorf boten den schönsten Rahmen für die Abhaltung eines Volkstrachtenfestes in Sachsen. Allerdings ist bei uns in Sachsen, wo der Verkehr und die Industrie so mächtigen Aufschwung gefunden haben, schon gar Vieles von der ererbten Sitte und Tracht geschwunden. Trotzdem aber konnte auch hier wie in anderen Landen der Versuch gewagt werden, das noch Vorhandene zu zeigen. Der volle Erfolg hat die Berechtigung des begonnenen Werkes bestätigt, und dadurch dem Heimatsgefühl und der Pietät für die hergebrachten Sitten neue Nahrung verschafft.

Ein wie prächtiges Bild bot der Festzug mit seinen mannigfachen, bewegten Gruppen! Da war nichts zu verspüren von der feierlichen Stille, in der bei historischen Festzügen die Teilnehmer vorbeiziehen, im Ausdruck ihrer Gefühle beengt von ihren ungewohnten Gewändern und von der Rolle, die sie zu spielen haben. Die Bauern fühlten sich wohl in ihrem Staate und waren stolz darauf, daß ihrem Erscheinen von den Städtern solch liebevolle Aufmerksamkeit zugewandt wurde. Leicht flogen die Scherzworte von den Zugteilnehmern zu den Zuschauern hinüber und wurden mit Lachen und Humor erwidert. So kam es, daß trotz der drohenden Wetterwolken am Himmel die heiterste Laune den Festzug begleitete und auch durch vorübergehende Regenschauer nicht gestört werden konnte. Und als dann der Zug einbog in die „Alte Stadt“ und die Landbewohner auf dem Marktplatze mit seinen malerischen Bauten an Sachsens ehrwürdigem König Albert und dem gesamten Königlichen Hause vorüberziehen konnten, da erreichte die Freude ihren Gipfelpunkt und fand oft in stürmischem Jubel den unbefangensten Ausdruck. Das Staunen und Bewundern der Bauern im Zuge wollte kein Ende nehmen vor den vielen anheimelnden Schönheiten der Alten Stadt und des lausitzer Dorfes, und die Zuschauer wiederum fanden immer wieder neue Gruppen zu bewundern. Und als sie dann ihre heimischen Tänze auf der Dorfwiese vorführten, wie waren da alle, die Vogtländer, die Wenden, die deutschen Lausitzer voll Eifer dabei, und wie übermütig schallte der Juchzer der Tanzenden über die tausendköpfige Menge der Zuschauer. Endlich in den Standquartieren der einzelnen Gruppen, den Wirtshäusern der Alten Stadt und des Dorfes, was für ein fröhliches Treiben entwickelte sich hier bei Musik, Gesang und Tanz. Und wie staute sich die Menge in den Ausstellungshallen, besonders aber in dem Sächsischen und dem wendischen Volksmuseum. Die Mühe und Arbeit, die bei der Einrichtung der beiden Museen und bei den Vorbereitungen zum Volkstrachtenfeste aufgewandt worden waren, sie sahen sich reichlich belohnt bei dem Anblick der freudestrahlenden Gesichter der ländlichen Besucher, wenn diese heimatliche Hausgeräte und Einrichtungen hier als sehenswerte Ausstellungsgegenstände vor Augen hatten. Und was für ein reges Treiben entwickelte sich auf dem Platze hinter dem Dorftheater, wo der Photograph einzelne Gruppen des Festzuges aufzunehmen hatte. Was hatten die Zugführer für Mühe, das unruhige Völkchen beisammen zu halten, damit es ausharrte, bis es auch an die Reihe kam. Wie suchten sich die Wartenden zu entschädigen, durch Scherz- und Stichelreden, die die jedesmal aufzunehmende Gruppe erdulden mußte. Die Scene hatte zahllose Zaungäste herbeigelockt, die nicht wankten und nicht wichen, um an der Freude und dem Humor der Gefeierten des Tages teilnehmen zu können. Da wurde plötzlich dem frohen Wesen, das sich unter freiem Himmel entwickelt hatte, vorübergehend eine Störung bereitet, indem ein tüchtiger Platzregen alle Menschen unter Dach und Fach trieb. Jetzt konnte in den zahlreichen Wirtshäusern der Alten Stadt und des Dorfes kein Apfel zur Erde fallen und die frohe Laune des Tages schien durch die Ungunst des Wetters neue Nahrung empfangen zu haben. Als das Wetter vorüber war, lockte die Freiberger Bergkapelle die Festteilnehmer wieder ins Freie, und in zwanglosen Gruppen folgten sie dem Umzuge über die Brücke nach dem Ausstellungsparke und zurück durch Stadt und Dorf. Am Abend des frohbewegten Tages wollte der Verkehr in dem Ausstellungsgebiet kein Ende nehmen und in jedem Standquartiere konnte man beobachten, wie die Freude an all dem Erlebten den Festgästen die Zunge gelöst hatte und wie von improvisierten Rednerbühnen herab sie ihrer Begeisterung und ihrem Danke beredte Worte liehen. Wahrlich, das Fest war gelungen wie selten eines, und es wird jedem, der daran teil genommen, dauernd in freudiger Erinnerung bleiben!

Um aber die wichtigsten Gruppen des Festzuges im Bilde festzuhalten, ist von dem Ausschusse des Volkstrachtenfestes das vorliegende Lichtdruckwerk herausgegeben worden. Sein Zustandekommen ist neben der Zuvorkommenheit des Verlegers in erster Linie dem geschäftsführenden Ausschusse der Ausstellung des Sächsischen Handwerks und Kunstgewerbes zu Dresden 1896 zu danken, der die Mittel zu dem Feste selbst bewilligte. Die Bilder einzelner Gruppen der Wenden, die aus Mangel an Zeit und günstigem Licht nicht hatten aufgenommen werden können, sind in dankenswerter Weise durch die Firma W. Höffert beigesteuert worden, die Beschreibung der Wendentrachten hatte Herr Dr. Mucke in Freiberg die Güte zu liefern. Die beigegebenen Tafeln mit Bildern von Bauernhäusern sind nach Aufnahmen von Landbauinspektor Schmidt hergestellt und sie werden zur Illustrierung des Charakters der Heimat der einzelnen Stämme gewiß nicht unwesentlich beitragen. Die Zeichnung des Titelblattes rührt von Herrn Maler O. Seyffert her. Wenn nun auch unser Volkstrachtenwerk auf Vollständigkeit und erschöpfenden Inhalt des ganzen Gebietes durchaus keinen Anspruch macht, vielmehr nur als Erinnerungszeichen an jenes herrliche Fest betrachtet sein will, so hoffen wir doch, daß es dem infolge des Festes seit kurzem begründeten Vereine für Sächsische Volkskunde recht viele Freunde und Anhänger zuführen werde. Und dann wird das Werk mittelbar auch der Forschung einen Gewinn bringen, der von seinen Herausgebern und zugleich Veranstaltern des Festes als schönster Lohn ihrer Mühen angesehen werden darf.

Empfohlene Zitierweise:
Hrsg: Ausschuß für das Sächsische Volkstrachtenfest zu Dresden 1896: Karl Schmidt (Volkskundler), Oskar Seyffert (Volkskundler), Jean Louis Sponsel: Sächsische Volkstrachten und Bauernhäuser (1896). Wilhelm Hoffmann, Dresden 1897, Seite I. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:S%C3%A4chsische_Volkstrachten_und_Bauernh%C3%A4user_(1896).pdf/07&oldid=- (Version vom 29.10.2017)