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den Auslagen, erriet in der Dämmerung ihre Gesichter und eilte blindlings jeder Gestalt, jedem ungewöhnlichen Blicke nach; zuweilen ging er in ein Cafe oder in dichtgefüllte Schenken, um auszuruhen, doch sobald er alle Gesichter gemustert hatte, sprang er auf, ohne sein Glas auszutrinken, denn er fühlte: er mußte weitergehen, mußte suchen, mußte warten …

„Suche … folge dem, was dir begegnet … frage nach nichts … sei ohne Furcht … S.O.F. öffnet die Geheimnisse …“ Diese Worte klangen unaufhörlich in ihm wie ein festes, rücksichtsloses Geheiß. Nicht das schwächste Verlangen, sich dagegen aufzulehnen, entstand in ihm, er war wie ein Geschoß, von mitleidloser Hand geschleudert, das einem unbekannten Ziele entgegeneilt, blind, gehorsam und tot gegen alles, was nicht diese dunkle, unbekannte Notwendigkeit ist.

Und doch war ihm alles völlig gegenwärtig und bewußt, was um ihn her geschah, und war in ihm jeder Zusammenhang mit dem vergangenen Leben unterbrochen; er dachte daran, wie man manchmal an merkwürdige Geschichten denkt, die man vor langer, langer Zeit irgendwo gehört hat und die schon in den weiten Fernen der Vergessenheit versunken sind.

„Was wird geschehen?“ dachte er in den seltenen Augenblicken eines inneren Erwachens, und dann wollte er mit aller Gewalt diese Vision des „morgen“ aus dem Unbekannten herausreißen. Doch der Nebel, in dem er umherirrte, wich nicht, sein blinder, irrer Kreislauf nach dem Unbekannten hörte nicht auf, – so suchte er wieder, wartete wieder …

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Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/133&oldid=- (Version vom 1.8.2018)