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In dieser ruhigen und herrlichen Atmosphäre der Liebe, unter ihren selig leuchtenden Augen begann Zenon sich so wohl zu fühlen, wie er sich immer in diesem Zimmer gefühlt hatte.

An solchen Sonntagabenden versuchte er mit Aufbietung aller Kraft, wenn er auch immerfort an das rätselhafte, quälende Gesicht Daisys denken mußte, wenn auch beunruhigende halbe Gedanken, halbe Klänge und halbe Bilder sein Gehirn ausfüllten, dies Gefühl loszuwerden; er sehnte sich danach, tief und aufrichtig, alles zu vergessen, was nicht mit diesem guten, seligen Augenblick, was nicht mit Betsy in Zusammenhang stand, und was nicht sie selbst war.

Das gelang ihm manchmal, und dann schaute er sie voll stillen, vom Übermaß an Gefühl schüchternen Glückes mit verliebten Blicken an, denn Betsy in ihrem Sonntagskleid aus schwarzer, matter Seide, das nur von einem weißen Umlegekragen und Spitzenmanschetten erhellt war, schlank, hoch und graziös, war geradezu reizend. Ihr frisches Gesichtchen, von dichten aschblonden Flechten umrahmt, erblühte aus dieser düsteren Schwärze wie die Knospe einer Apfelblüte, sie bebte von Lenz und Glück, und der etwas große und kindliche Mund war so kirschrot, so belebt von Lächeln und so voll süßer Verheißungen. Sie fühlte sich in diesem Augenblick überaus glücklich; das Essen war beinahe ruhig vorübergegangen, die Tanten schwiegen, Yoe war zu Hause, der Vater saß ruhig, und er, Zen, saß neben ihr, wirklich neben ihr, und so nahe, daß es sie plötzlich schrecklich danach verlangte, ihm den Schnurrbart mit der Hand zu

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Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/075&oldid=- (Version vom 1.8.2018)