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„Vielleicht,“ kam es gepreßt von seinen Lippen, und er erbleichte im plötzlichen Gefühl des Grauenhaften dieser Erscheinung. Ihn durchdrang der lähmende Schauer des Rätsels, doch er beherrschte sich bald und schnell, unmerklich versenkte er seine Falkenaugen in ihr Gesicht, in ihr Haar; er kroch in die Tiefe ihrer saphirblauen, von schwarzen Wimpern umrahmten Augen, umfing ihren schlanken, jungen Leib, lauerte auf ihre Bewegungen, als wolle er unwillkürlich ihre Identität, ihr wirkliches Dasein feststellen.

Er zuckte voll Abscheu zusammen; denn jenes Gespenst war geradezu häßlich und widerlich gewesen. Und trotz alledem konnte er die Vergleiche nicht einstellen, noch ein merkwürdiges Gefühl der Unruhe und des Gequältseins unterdrücken, so daß er nicht einmal ihre Fragen hörte. Zum Glück versperrte ihnen an der Ecke der Fleetstreet unter einem beweglichen Dache von Schirmen eine Menge von Menschen den Weg, die sich um einen laut predigenden Mann versammelt hatten.

Sie kamen näher, bis an die hohe, transportable Rednertribüne, auf der unter einem Schirm ein hochgewachsener, roter und wohlbeleibter Mann stand und, während er unaufhörlich den aufgespannten Schirm von einer Hand in die andere nahm, mit heiserer, salbungsvoller Stimme eine Art Predigt herunterschrie, die mit Bibelgleichnissen und Zitaten dicht durchsetzt war … Zuweilen schrillte er einen leidenschaftlich drohenden Schrei hervor und blieb mit ausgebreiteten Armen gleichsam in der Luft

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Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/033&oldid=- (Version vom 1.8.2018)