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an der Wiege zu schaffen und beruhigte laut das aufgewachte Brustkind. Die alte Mutter saß zerzaust, wie sie aus dem Schlafe aufgesprungen war, auf dem Bette, die Beine herunterhängen lassend, die braunen Hände krampfhaft verschränkt, und verfolgte mit den Augen aufmerksam unsere Arbeit. Ich erinnere mich, daß mir damals der Gedanke kam, wie doch solch ein altes, völlig verblühtes Weib so funkelnde, glänzende Augen haben kann.

Während dessen wurde die Haussuchung fortgesetzt: Ich weiß nicht, was mit mir damals vorging. In meiner Brust kochte es, eine Leidenschaft, wie sie nur der Jäger kennt, bemächtigte sich meiner. So ähnlich muß auch ein Hund empfinden, wenn er im Gebüsch das verwundete Wild aufsucht. Das Wild ist getroffen, aber dennoch kann es noch immer entgehen, wenn es nicht sofort gefaßt wird. Also suchen!…

Diese leidenschaftliche Aufregung machte mir sogar den Athem stocken. Ich durchsuchte gemeinsam mit dem Richter alle Winkel, durchstöberte die Kleider, die Kisten. Sogar solche Ecken, wo man gleich sah, daß da nichts war, durchspürten wir. Will man einmal ein „Lecoq“ sein, muß man eben alles beachten, alles prüfen.

So durchsuchten wir denn alles – das Haus, die Ställe, den Boden, guckten in eine leere Scheune hinein. Aber nirgends fand sich etwas! Nirgends etwas Besonderes, Auffallendes.

Dem Untersuchungsrichter verging die Laune. Ziemlich vernehmlich murrte er über mich: Weiß der Teufel, wozu Sie die ganze Geschichte eingerührt haben! Ihren Chimären zu Liebe schleppen Sie mich und die Leute mitten in der Nacht umher – auch ein „Lecoq“! Hol’s der Teufel! Ich begreife nur nicht, wie ich Ihnen Gehör schenken konnte….

Ich war also wie man so sagt „hereingefallen“, murmelte etwas, zuckte mit den Achseln, der Schweiß trat mir auf die Stirn…. Ich wußte selbst nicht, was thun, was sagen, denn ich sah selbst, daß nirgends etwas zu finden war!… Teufel! dachte ich für mich: – sollten wirklich alle meine „Kombinationen“, mein Verdacht grundlos sein? … Vielleicht! … Gott weiß es!… Ich fühlte mich weder dem Untersuchungsrichter noch mir selbst gegenüber besonders behaglich. Aber was war da zu machen – ein Irrthum, wie er vorkommen kann.

Wir kehrten vom Hofe ins Haus zurück; der Untersuchungsrichter wollte sich auf dem Wege eine Zigarette anstecken und auch sein Portefeuille mit den Akten holen. Ich hatte mich auf die Bank gesetzt, um einen Augenblick auszuruhen. Während ich so dasaß, fiel mein Blick zufällig auf einen mit Teig gefüllten Trog – früh Morgens sollte wohl Brot gebacken werden. Gleichgiltig betrachtete ich den Trog, als mir plötzlich ein Umstand auffiel: der Teig war in der Mitte wie eingefallen und seine ganze Oberfläche war überhaupt merkwürdig ungleich, wie zerissen … Ich zupfte den Untersuchungsrichter am Aermel und sagte es ihm…

Und als wir uns an den verdächtigen Teig heranmachten, zeigte es sich, daß ich Recht hatte: drinnen steckte ein zusammengerolltes Packet. Wie wir es herauszogen, sahen wir: eine zerknillte graue Jacke, Brust und Aermel mit eingetrocknetem Blute besudelt! Die Jacke gehörte Andreas.

So war also im Teig das wichtigste Beweismittel verborgen gewesen! Ja, und zugleich mein Triumph, mein großartigster Triumph!

Wir nahmen unsere Beute, unsere kostbare Trophäe und zogen mit ihr, nachdem die nothwendigen Formalitäten erledigt waren, ab.

Nach diesem, in jener glücklichen Nacht gethanen Funde, nahm die ganze Untersuchung, die jetzt die richtige Direktion erhalten hatte, einen glänzenden

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Olena Ptschilka: Mein erster Erfolg. Johann Heinrich Wilhelm Dietz, Stuttgart 1898, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PtschilkaMeinErsterErfolg.pdf/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)