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wahrscheinlich, daß man Anfangs, um Früchte daran zu ziehen, genöthigt war, ihnen in Stadtgärten oder in den Gärten der Klöster und patrizischen Familien einen guten Stand an der Mauer anzuweisen. Die zu diesem Zwecke in diesen Gärten ausgeführten Vorrichtungen, wovon noch einige Spuren vorhanden sind, deuten auf ein Jahrhunderte langes Bestehen.

In den Gärten religiöser Gemeinschaften besonders beschäftigte man sich mit der Anpflanzung von Fruchtbäumen und ihrer Vervielfältigung, soweit deren Methoden bekannt waren. Junge, aus Kernen erhaltene und zur Vielfältigung gezogene Bäume haben, nachdem sie das Alter von 10 bis 15, oder noch mehr, Jahren erreicht hatten, ohne gepfropft zu werden, Früchte zeigen können. Die Fruchtkerne dieser Bäume haben dann andere erzeugt, die kräftiger und besser acclimatisirt waren und nach und nach eine ohne Zweifel bessere Qualität zeigten.

Diese neuen, in Obstgärten angepflanzten Sorten haben ein hohes Alter erreicht und man findet sie noch heute in hügeligen Gegenden, wo sie ungeheure Dimensionen erreichen.

Ein an Dammerde reicher Boden mit einem guten, tiefen Untergrunde, ein günstiges Klima und einsichtsvolle Abwartung haben bei uns im Verlauf der Zeit verschiedene Birnbaumsorten erzeugen müssen, deren Namen in speciellen Registern, die von Klosterbrüdern gehalten wurden, aufbewahrt worden sind. Aus diesen Orten ist in der letzten Zeit des vergangenen Jahrhunderts in die Gärten der Bürger eine große Menge von Varietäten eingeführt worden, die man noch in den Baumschulen besitzt, wo sie ihren ursprünglichen Namen bewahrt haben.

Ohne Zweifel hat auch aus den Kernen dieser vollkommeneren Sorten der Zufall eine gewisse Zahl Varietäten erzeugt, über welche man noch nicht ganz im Reinen ist. Wir wollen einige angeben:

1) Die Birne Legipont, die Herr Legipont im Dorfe Charneux in der Provinz Lüttich aufgefunden hat. Diese Varietät trägt folgende Namen: Köstliche von Charneux (Merveille de Charneux), Schmalzbirne (Fondante) von Charneux oder irrthümlich Charneuxbirne (des charneuses).

Es ist bemerkenswerth, daß heute noch nach 50 Jahren ihrer Entdeckung diese Varietät im Dorfe Charneux den ursprünglichen Namen Poire Legipont führt.

2) Die Birne Racquenghien, aufgefunden im Dorfe dieses Namens, nicht weit von der Stadt St. Omer. Aus diesem Grunde führt auch diese Varietät den Namen Poire St. Omer. Ob man ihr anderswo andere Namen beigelegt hat, weiß ich nicht.

Diese Varietät hat filzige Blätter, wie die Gansells Bergamottbirne und die Birne „Graf von Flandern“ (Comte de Flandres) von „van Mons“.

3) Die Beurré de Rance, aufgefunden im Dorfe Rance im Hennegau von dem verstorbenen Abbé von Hardenpont aus Mons. Mit Unrecht bezeichnet man sie mit dem Namen Hardenponts Frühlingsbirne (Hardenpont du printemps) oder Noirchain-Birne.

4) Bosch-peer, oft vorkommender flämischer Name, der deutsch Buschbirne bedeutet. Der Samen dieser Varietät ist in einem Gehölz des Dorfes Huisse in Ostflandern gefunden worden. In England nennt man sie Flemish Beauty (Flandrische Schönheit), in Frankreich, Schmelzende Waldbirn

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_407.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)