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welcher besonders gute Eigenschaften zu Unterlagen haben solle und von dem bei uns bekannten Paradiesapfelstamme sich unterscheide; allein da der wissenschaftliche Namen nicht beigefügt ist und wir über diese gepriesene Sorte keine Erfahrung haben, so müssen wir die Vorzüge derselben dahin gestellt seyn lassen, fordern aber solche Baumschulen-Besitzer, welche mit englischen Baumschulen in Verbindung stehen, im Interesse des Obstbaues auf, Exemplare von dem English Paradise zur Probe herbei zu schaffen und die Resultate zu veröffentlichen.

Man sollte glauben, daß der Paradise- und Johannisstamm, welche mehr die Natur eines Strauches, als eines Baumes haben, da beide Schwächlinge sind, die nicht aus dem Samen gewonnen, sondern aus Stecklingen oder Ausläufern erzogen werden, die Fähigkeit schönere und größere Früchte, als Pyrus malus, zu erzeugen eben so wenig besitzen können, als ein schwächliches Thier ein kräftigeres Junges produciren kann, als ein starkes, und doch zeigt die Erfahrung daß diese Schwächlinge an Produktionskraft sowohl als an Schönheit der Früchte, sobald sie veredelt sind, im Verhältnisse zu ihrem Umfange die stärksten Exemplare des Pyrus malus übertreffen. Derjenigen Theorie (Thouin), welche annimmt, weil diese Schwächlinge ein geringeres Maaß von Säften aufnehmen und verarbeiten können, als gewöhnliche Wildstämme, so setzen sie auch mehr und größere Früchte an, kann ich nicht beistimmen, es mag sich meine Vernunft unter eine solche Anomalie nicht beugen. Die größere Fruchtbarkeit des Paradies- und Johannisstamms betreffend, so läßt sich diese allerdings daraus erklären, daß sie geschwächte, gleichsam nicht selbstständige, sondern abgeleitete Organismen sind und daher auch eine kürzere Lebensdauer haben. Man findet überall in der Natur das Gesetz, daß Thiere und Pflanzen, welche wegen ihres schwächlichen Organismus Störungen ihres Lebens leicht ausgesetzt sind, früher und zahlreicher sich reproduciren; ich erinnere nur an die einjährigen Pflanzen, Blattläuse und andere Insekten noch übleren Rufes. Ein höher organisirtes Erzeugniß der Natur, wie z. B. ein Baum, der immer wieder verstümmelt und in seiner naturgemäßen Ausbildung aufgehalten wird, wie es bei Zwergbäumen geschieht, wird durch das Gesetz der Natur dahin gereizt und getrieben, durch Reproducirung seiner Art, welche zunächst im Kerne der Frucht enthalten ist, sich zu erhalten, weil das Individuum selbst durch naturwidrige Behandlung zu Grunde gehen muß. Die Erklärung des reichlicheren und früheren Fruchtansatzes macht uns daher keine Schwierigkeit, sobald wir das genannte Naturgesetz anerkennen; aber nimmermehr werden wir zugeben können, daß der Paradiesstamm deßhalb, wenn er veredelt ist, so große und schöne Früchte hervorbringe, weil er ein Schwächling ist. Die Erfahrung giebt uns schon einiges an die Hand, daß wir auf anderem Wege die Erklärung jenes merkwürdigen Umstandes finden können. Es ist nämlich schon lange her bestätigt, daß gepfropfte Stämme eine nicht unbedeutende Vergrößerung der fleischigen Fruchtgehäuse hervorbringen im Vergleiche mit ungepfropften Exemplaren derselben Varietät, und auch (wie schon oben bemerkt worden ist), die Schönheit der Früchte erhöht sich erfahrungsmäßig in Folge der Veredlung, dagegen kann ich eine Geschmacksveränderung der Frucht durch das Veredeln nicht annehmen. Diese Erfahrung leitete zur Doppelveredlung zu jenen Exemplaren welche man Casseler nennt und in der That, ist auch diese Procedur nicht ohne Einfluß auf den Umfang

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_377.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)