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gewonnen würden, die einem Rambour, einer Reinette etc. völlig gleichen, denn die erzogenen Stämme werden keine, allen Aepfeln ganz ungleich sehende Frucht tragen. Vielmehr hat eine sehr ausgedehnte und bereits langjährige Praxis erwiesen, daß es nur in sehr wenigen, einzelnen Fällen sich ereignete, daß ein Sämling eine der Mutterfrucht ganz ähnliche oder gleiche Frucht hervorbrachte (am meisten wohl noch bei Pflaumen, wodurch wir bereits geneigt sind, mehrere Stammsorten unter denselben anzunehmen; wiewohl die Erfahrungen darüber noch nicht sicher genug sind, und während z. B. Herr Dr. Liegel statuirt, daß die Reineclaude aus dem Stein sich nacherzeuge, Herr v. Mons dieß in Abrede stellt und auch die Altenburger, nach deren Annalen I. S. 146, aus Steinen der Reineclaude ein kleines röthliches Pfläumchen zogen); daß vielmehr die Abänderung und häufig eine schneidende Verschiedenheit von der Mutterfrucht bald besser, bald schlechter als diese, die Regel ist, ja sich selbst da ergibt, wo man eine fremde Bestäubung abzuhalten gesucht hatte. Unter den Kirschen, die Truchseß, wie obgedacht, aus Kernen erzog, fielen zwar aus Süßkirschen wieder Süßkirschen, aus Weichseln Weichseln u. s. w., aber übrigens waren die neuen Sorten von den Mutterfrüchten in Gestalt und Reifzeit sehr verschieden, und unter den Sämlingen von Glaskirschen fanden sich Amarellen und umgekehrt etc. Selbst durch die empfohlene, absichtlich berechnete Kreuzung wird man häufig etwas erhalten, was man nach den Mutterfrüchten nicht erwartete, wie z. B. der sorgfältig forschende Bödiker in Meppen eine dem Grafensteiner völlig gleiche Frucht (Bödiker’s Liebling von mir genannt) durch Bestäubung des Rothen Sommer-Rambours mit dem Weißen Sommercalville erhielt. Es ist ein unumstößliches Axiom in der Phytonomie (Lindley S. 359), daß Samen nur die Species, aber nicht immer die besondere Varietät hervorbringen, vielmehr unter dem Einflusse der Kultur viele Gewächse eine besondere Neigung erhalten, durch Samenzucht in den Varietäten sehr abzuändern, vorzüglich wenn dann erst noch gegenseitige Bestäubung durch die bereits gewonnenen Varietäten hinzukommt. Lindley meint (S. 360): gesetzt, man habe den Samen vom Ribston-Pepping ausgesäet, so werde dieser, von einer Vermischung mit andern Spielarten rein gehalten, einen Apfelbaum geben, dessen Frucht groß, süß und wohlschmeckend sey, – also doch nicht der Mutterfrucht gleich! Aber wie sollte man auch die Bestäubung durch andere Varietäten, wo Kerne für irgend größere Bedürfnisse zu gewinnen wären, nur abhalten, da die Insekten überall schwärmen, und nach Lindley’s eigener Meinung der Einfluß einer fremden Bestäubung sich oft stundenweit merkbar macht?

Ist es aber so entschieden, daß man bei der Kernsaat nie auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit darauf werde rechnen können, jede Sorte sich selbst gleich zu reproduciren, so darf die Anzucht veredelter Bäume nie aufhören, allgemein herrschend zu seyn. Es kann uns durchaus nicht gleichviel gelten, welche Obstsorten wir pflanzen, selbst wenn wir durch die Sämlinge lauter gute Früchte erhielten. Schon für den individuellen Geschmack ist es nicht einerlei, welche Früchte im Garten stehen. Wir wünschen die Weiße Herbst-Butterbirn, die Napoleon, die Salis, Marie Louise, Winter-Nelis oder Kopertsche fürstliche Tafelbirn etc. und werden diese ungern vermissen, wenn wir auch andere gute Früchte dafür bekommen. Noch weniger ist es für das vorliegende

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_369.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)