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welche das Holz der Unterlagen durchziehen, nicht zur vollen Entwicklung gelangen können, und daher auch wenige Früchte bringen, oder nach einigen Jahren wieder zurückgehen. Ich will dabei nur kurz erwähnen, wie der Anblick eines Baumes, dessen Basis dünner ist als seine Fortsetzung, schon das Auge beleidigt. Zwar weiß ich wohl, daß es Pflanzenphysiologen gibt, welche behaupten, weil die Fibern des Unterstammes und des Edelreises sich nicht kreuzen, die im Holze der Unterlage sich befindenden Kanäle ihre Säfte nicht in die Holzkanäle des Edelreises ergießen können, daß daher auch das Edelreis seine Nahrung nur aus den Strömungen des Saftes zwischen Splint und Bast schöpfen könne. Allein, so richtig es ist, daß das Edelreis nur als ein Parasit auf seiner Unterlage lebt, und daß ihm seine Hauptnahrung durch die Säfte-Circulation in die Rinde zugeführt wird; so ist damit nicht erwiesen, daß die Säfte, welche durch die Kanäle im Holze aufsteigen, an der Verbindungsstelle mit dem Edelreise liegen bleiben, denn sonst müßten sie nothwendig die Gefässe zersprengen, und wenn sich schon die Kanäle der Unterlage in die Kanäle des Edelreises nicht verlängern, so daß die einen in die andern übergehen, was allerdings nicht der Fall ist, wie man leicht sehen kann, wenn man den aufgepfropften Theil von der Unterlage losmacht; so gibt es ja noch einen andern Weg, wie sich das Edelreis die ausströmenden Säfte aus der Unterlage assimiliren kann, nämlich mittelst des Ansaugens durch seine eigenen Kanäle. Je homogener die Holzbildung der Unterlagen und des Edelreises ist, um so leichter und vollständiger wird die Assimilirung der aufsteigenden Säfte stattfinden. Jene aber, welche immer noch der Ansicht sind, die ganze Säfte-Circulation des Baumes bewege sich nur zwischen Splint und Rinde, darf ich nur auf die Thatsache hinweisen, daß gefällte Bäume im geschälten Zustande ungeheure Quantitäten Flüssigkeiten aufzunehmen im Stande sind, und aus der Mitte des Körpers ganze Massen von Säften ausstömen lassen, wenn sie angebohrt werden.

Wer zu Unterlagen solche Exemplare wählt, welche den stark treibenden Sorten zugezählt werden können, wird aus den angeführten Gründen wohl thun. Auch die Auswahl solcher Bäume zu Unterlagen für Probebäume ist verwerflich, welche im Allgemeinen gesund, aber durch vieljährige große Fruchtbarkeit sich erschöpft haben, wenn sie schon einer Verjüngung bedürfen. Ich hatte vor 2 Jahren einen Hochstamm zu einem Sortenbaum ausgewählt, der den unübertrefflichen Engelberger trug, eine zwar kleine, aber herrliche Reinette, welche an strotzender Fruchtbarkeit alle mir bekannten Sorten hinter sich läßt und der allgemeinsten Verbreitung würdig ist, weil sie selbst rauher Witterung in der Blüthe widersteht; dieser Baum hatte sich durch alljährliches Tragen erschöpft; die Früchte wurden alle Jahre kleiner, die Zweige waren ganz mit Quirlholz überdeckt, und es bildeten sich kaum 1″ lange Holztriebe im Frühjahre. Ich hoffte durch Wegnahme des vielen kurzen Fruchtholzes und durch Aufsetzen einer großen Zahl Edelreiser von meist stark treibenden Wirthschaftssorten, also durch viele Holztriebe den sinkenden Kräften des Baumes wieder aufzuhelfen; aber von 161 veredelten Zweigen sind kaum 40 Edelreiser angewachsen, und jene zeigten, obschon ich nicht zu viele Zugäste stehen ließ, nur einen ganz schwachen Trieb. Ich zweifle nun gar nicht, daß dieser gesund scheinende Baum, nach Wegnahme seiner vielen Fruchtkuchen, in

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_336.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)