Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 331.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Flächen eindringe. Dieß hat nun bei einiger Fertigkeit, wenn man auf festem Boden steht, durchaus keine Schwierigkeit, denn hier hat man freie Bewegung; aber ganz anders verhält es sich, wenn man 25′ über der Erde auf einer schwankenden Leiter die Operation vornehmen muß, wobei man nicht einmal einen freien Gebrauch der Hände vollkommen hat. Ich habe zwar bei der Baumleiter zum Feststehen eine Vorrichtung, welche ich sonst noch nirgends sah; es wird nämlich an beliebigen Sprossen der Leiter, welche in Schienenform, von 2″ Breite, gefertigt sind und dadurch größere Festigkeit bieten, ein 1″ dickes und 5″ breites Brettstück mit 2 eisernen Trägern befestigt, worauf man, ohne zu ermüden, längere Zeit feststehen kann; bei niederen Leitern aber lasse ich zum bequemen Stehen die Sprossen dreikantig fertigen, wobei der obere Theil stark 2″ breit und zum Stehen bequemer wird; allein dessen ungeachtet erfordert die Operation des Copulirens auch auf solchen, besser construirten Leitern Anstrengung und ist schwer zu vollziehen, und das gleiche gilt, wenn auch in geringerem Maße, vom Oculiren, das noch den weiteren Uebelstand hat, daß, wenn in mehrjährigem Holze oculirt wird, die Augen nicht gut angehen, wenn man aber im vorjährigen Holze oculirt, die dort sitzenden Augen mit austreiben und das Edelauge in seiner Entwicklung aufhalten. Jedenfalls kommt man durch das Oculiren ein Jahr später zum Ziele, und die Erfahrung lehrt, daß copulirte und gepfropfte Stämme überhaupt sich früher zum Fruchttragen anschicken. Ein Hauptvortheil beim Pfropfen ist, daß zwei Personen zugleich arbeiten können. Ist der Probe- oder Sortenbaum gehörig vorbereitet, d. h. ausgeästet, und sind an den Veredlungsstellen die Aeste abgeschnitten, so wird die Arbeit außerordentlich gefördert, wenn die eine Person das Zuschneiden der Edelreiser und die Befestigung der Etiquetten besorgt, während die andere die Rinde öffnet und den Verband anlegt, und dem abgeschnittenen Ende des Zweiges einen neuen Anschnitt gibt; es bringen auf diese Weise zwei Personen in Einem Tage so viel zu Stande, als ein Einzelner in 3–4 Tagen.[1] Beim Copuliren aber können sich zwei Personen nicht unterstützen, weil dieselbe Hand, welche das Edelreis schneidet, auch die Fläche des zu veredelnden Zweiges schneiden muß, damit beide auf einander genau passen. Es läßt sich, wenn nur Eine Person die Operation verrichtet, nicht vermeiden, daß durch das Bedecken der Wunden mit Baumwachs und Befestigung der Edelreiser durch die Bänder, die Hand beschmutzt wird, wodurch die Unreinigkeit sich leicht dem Edelreise, während es mit der Hand beim Schneiden festgehalten wird, mittheilt, und das Gelingen dadurch erschwert wird. Je schneller die Operation vollzogen werden kann, um so mehr werden im Edelreise und in der Unterlage die Ausschwitzungen der Säfte verhütet, um so kürzere Zeit sind die Edelreiser den Einflüssen der austrocknenden Luft ausgesetzt, wodurch bei oft tagelangem Herumschleppen so manches Edelreis Schaden nimmt. Durch das Pfropfen in die Rinde ist man ferner darauf hingewiesen, die Aeste nicht an der äußersten Spitze zu veredeln, sondern weiter zurückzugehen. Hiedurch wird dem Uebelstande vorgebeugt, daß, wenn etwa das Edelreis,

im Verhältnisse zur Unterlage, einen allzu


  1. Dieß kann ich aus Erfahrung bestätigen.
Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_331.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)