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vollkommenen Frucht im normalen Zustande zu verstehen ist. Ich verstehe unter einer vollkommenen Frucht eine solche, welche in jeder Hinsicht völlig naturgemäß ausgebildet ist, und wird dieser Begriff auf alle zu betrachtenden Eigenschaften der Frucht: Form, Größe, Farbe, Reife, Fleisch, Geschmack etc. Anwendung finden müssen.

Solche vollkommene Früchte, welche den normalen Zustand erreicht haben, können natürlicher Weise auch nur von einem Baume erwartet werden, welcher sich in einem, seiner Natur angemessenen guten Zustand, auf keine Weise aber in außerordentlichen Umständen befindet. Es ergeben sich aber aus dem Vorstehenden zu näherer Bestimmung der vorauszusetzenden Vegetationsverhältnisse einige auf die Beobachtung der Natur der Obstbäume gegründete Sätze, unter welchen nur zu erwarten ist, daß die Früchte eines Baumes den normalen Zustand oder eine naturgemäße Ausbildung erreichen. Ich werde dieselben hier als allgemein zu beobachtende Grundsätze bei Auswahl, Beurtheilung und Bestimmung der Früchte nur kurz aufführen, später aber den Einfluß, welchen die verschiedenen, darin angedeuteten Umstände auf jede einzelne Eigenschaft der Kernobstfrüchte ausüben, weiter ausführen. Diese Regeln sind folgende:

1) Der Baum, von welchem Früche zur Beurtheilung oder Bestimmung einer Sorte dienen sollen, muß gesund, kräftig, also nicht altersschwach seyn, ebenso wenig aber in übermäßigem Safttrieb stehen, und die Früchte müssen nur in mäßiger Tracht und in regelmäßiger Jahreswitterung erwachsen seyn. Vgl. auch Schmidberger Beiträge, Heft III, S. 152.

2) Der Baum muß in einem der Art und Sorte angemessenen Klima und Boden erwachsen seyn. Als ein solches Klima kann in Deutschland für unsere besseren Kernobstsorten das Klima des mittleren Deutschlands in den Flußthälern und ein gebauter, sandig-lehmiger, nicht zu trockener, aber auch nicht zu feuchter Gartenboden angesehen werden. Dadurch ist keineswegs gesagt, daß alle Sorten auf diesem Boden am besten gedeihen, so wenig als daß es nicht Sorten gäbe, welche auch auf schlechterem Boden etc. ihre völlige Ausbildung erlangten. Da aber die Einflüsse des Klima’s und der Witterung auf die Frucht auch durch die Verschiedenheit des Bodens mehr oder weniger abgeändert werden, so ist es bei der Beschreibung und Beurtheilung einer Frucht auch nöthig, hierauf Rücksicht zu nehmen.

3) Da der edle Kernobstbaum in unserem Klima nicht bloß als ein Erzeugniß der Natur, sondern mehr als ein Zögling unserer Sorgfalt angesehen werden kann, so muß der Baum zwar in gehöriger Wartung und Pflege stehen, er darf nicht verwahrlost, aber auch ebenso wenig auf außerordentliche Art behandelt werden, so daß dadurch die natürlichen Eigenschaften der Früchte sich verändern. Der Baum muß also wohl ausgeschnitten, von Moos, Flechten etc. reingehalten, der Boden um ihn aufgelockert, bearbeitet, zuweilen auch gedüngt werden, keineswegs aber darf eine besondere Düngung, künstlicher Schnitt, Behandlung am Spalier, Ausbrechen der Früchte etc. stattfinden. So wenig wie der Botaniker zu Bestimmung und Beschreibung der Pflanzen vernachlässigte und verkümmerte, oder durch besondere Pflege übertriebene (üppige)

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_285.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)