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gewöhnlich frei, der Rost am Baume etwas mehr grünlich, der delikate, süße, feinweinige, etwas bergamottartige Geschmack ist von dem der Boses Flaschenbirne verschieden, die Triebe mehr ledergelb, und überhaupt die Vegetation anders. Auf die Vermuthung, daß sie die Marie Louise sey, wovon ich seit ein paar Jahren vorläufig überzeugt bin, konnte ich früher, und auch durch die im Neuen allgemeinen Gartenmagazine gegebene Abbildung der Marie Louise nicht wohl kommen, da ich von Diel als Marie Louise eine ganz andere Frucht erhalten hatte (jedoch, wie ich jetzt glaube, nicht die rechte, zumal Diel sie nirgends beschrieben und ihre Unächtheit vielleicht selbst vermuthet hat), und da Hr. van Mons bei Zusendung der ohne Namen erhaltenen Reiser mir schrieb: „c’est la plus part du plus neuf, c’est du tout neuf“; weßhalb ich glaubte, wohl eine noch unbekannte Frucht aus seinen letzten Kernsaaten[WS 1] vor mir zu haben.
Oberdieck.

II. Praktischer Obstbau und Obstbenutzung.
Sollen wir unsere Obstbäume durch Aussäen von Kernen vorzüglicher Früchte, ohne Veredlung heranzuziehen suchen, oder muß die Anzucht veredelter Obstbäume, als allgemeine Regel, stets beibehalten werden?
Vom Superintendent Oberdieck.
(Fortsetzung.)
1. Hat die Anzucht von Edelstämmen wirklich die von ihr prädicirten Nachtheile?

Wenn man gesagt hat, daß beim Veredeln oft ein schlechteres Reis auf einen Stamm komme, der von Natur eine bessere Sorte würde geliefert haben, daß die Pfropfreiser leicht abgebrochen würden, besonders im Felde, wo sich gern Krähen auf dieselben setzten; daß veredelte Bäume von Dieben leichter gestohlen würden; man sich eher Kerne zuschicken könne, als leicht vertrocknende Pfropfreiser und dergleichen; so können wir diese und andere ähnliche Uebelstände übergehen, da sie ohne Gewicht sind und sich leicht darauf antworten läßt, und wenden uns zu einem Einwurf, der schon mehr Gewicht hat.

Die Veredlung soll eine schwer zu übende Kunst seyn, viele Zeit und viele Instrumente, als Meißel, Bohrer, Klöpfel, Sägen, Augenabschieber, Oculir- und Copulirmesser erfordern. Für den Landmann wenigstens sey das zu kostspielig und zu schwer zu erlernen, und hier liege die Ursache, warum er nicht viel anpflanze. – Allein man hat ja längst alle spielenden und zu künstlichen Methoden beim Aechtmachen aufgegeben. Selten veredelt man anders, als durch Copuliren und Oculiren, und bedarf dazu nur Bast (besser mit heißem Baumwachse bestrichenes gebleichtes Nesseltuch, welches in Streifen von angemessener Breite und Länge zerrissen wird), und ein einziges Messer. Ich wenigstens habe mich zum Veredeln immer nur eines etwas größeren Federmessers mit etwa 3 Linien breiter Klinge, an welchem unten ein kleines Oculirbeinchen angebracht war, bedient (ganz wie es im ersten Hefte der Monatsschrift, als auch in Hohenheim gebräuchliches Veredlungsmesser, abgebildet ist),

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Kernsorten (vgl. Anzeige von Druckfehlern)
Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_237.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)