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Obstsorten verfuhr und noch täglich verfährt, und übersieht man nun dieses Alles, – der absichtlichen oder unabsichtlichen Täuschungen durch Anpreisung bereits bekannter oder werthloser Sorten, mit hochtönenden Namen, gar nicht zu gedenken; – so ist der dermalige Zustand der Kernobstlehre, die dermalen herrschende Verwirrung in den Kernobstsorten, (oder eigentlich die immer noch vorhandene Unordnung derselben, da eine Ordnung noch nie stattgefunden) nicht zu verwundern, wohl aber dürfte sich klar darstellen, daß Jeder dem die Beförderung der Obstlehre Ernst ist, dahin zu streben habe, daß künftig diese Fehler vermieden und das seither Versäumte nachgeholt werde; daß man sich über die Grundlagen der Pomologie verständige und auf ihnen gemeinschaftlich, – sey es auch nach verschiedenen systematischen Eintheilungen – fortbaue. Immer aber wird man dabei beachten müssen, daß es nicht genug sey, die Kernobstsorten blos in das System einzuordnen, sondern daß auch jede Sorte innerhalb der Abtheilungen nach ihrer Verwandtschaft und Aehnlichkeit zusammengestellt, die ähnlichen Sorten mit einander verglichen und die Unterscheidungszeichen genau angegeben werden müssen, was schon Diel als sehr wichtig erkannte und zu liefern versprach, aber nicht leistete. (Diel Heft I. S. 35.) Nur auf diese Weise wird es möglich seyn über Identitäten der Obstsorten richtig zu entscheiden.

Hat man sich über die vorstehend angedeuteten und vielleicht über noch einige andere geringere Punkte verständigt, so wird es nicht so schwer halten, die Kernobstsorten, soweit sie überhaupt Berücksichtigung verdienen, nach und nach in ein angemessen construirtes System einzuschalten, und es wird auch nichts zu sagen haben, wenn mehrere Systeme neben einander bestehen.

Allerdings wird man nicht vergessen dürfen, daß man es in der Obstkunde nur zum Theil mit Bastarden im weiteren Sinne, d. h. mit Abkömmlingen (Sämlingen) zweier verschiedener Arten, oder wenigstens verschiedener Varietäten, zum großen Theile aber mit Varietäten, d. h. durch Klima, Standort, Kultur, Pflege etc. entstandenen Sorten (Spielarten) zu thun hat, und also noch weniger, als in der Botanik, von scharfen Abgränzungen die Rede seyn kann, vielmehr naturgemäß überall Uebergänge vorhanden seyn müssen und täglich sowohl Fortschritte in der Verbesserung der Sorten, als auch Rückschritte, vorkommen können, ebenso aber auch bereits vorhandene Sorten, oder ihnen bis auf Kleinigkeiten ähnliche, aus Samen erzogen werden können.

Der Verfasser, welcher seit mehr als 40 Jahren Pomologie als Lieblingsstudium mit immer wachsender Liebe betreibt, hat im Vorstehenden seine Ansichten über den Zustand der Kernobstlehre frei und unbefangen ausgesprochen und hat dieß, bei der dermaligen Krisis derselben, der Sache schuldig zu seyn geglaubt. Möge das pomologische Publikum diese Aeußerungen günstig aufnehmen und nicht unbeachtet lassen, daß Erkennen des noch zu Leistenden, nicht Verkennen des bereits Geleisteten ist. Uebrigens wird es sich derselbe zum Vergnügen machen, auf die angedeutete Weise zur Beförderung der Obstkunde, und namentlich der Kernobstkunde, das Seinige beizutragen.

Fragt man nun: welchen Nutzen hat die Obstkunde für die Obstzucht? so dürfte sich die Beantwortung aus der Sache selbst leicht ergeben. Die Obstkunde soll die Obstsorten systematisch und naturgemäß zusammenstellen. Bei dieser Zusammenstellung kann sie, wenn sie wissenschaftlich

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_021.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)