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Zeichensysteme heraus. Die abstrakte chemische „Formel“ etwa, die als Bezeichnung eines bestimmten Stoffes gebraucht wird, enthält nichts mehr von dem, was die direkte Beobachtung und die sinnliche Wahrnehmung uns an diesem Stoffe kennen lehrt; – aber statt dessen stellt sie den besonderen Körper in einen außerordentlich reichen und fein gegliederten Beziehungskomplex ein, von dem die Wahrnehmung als solche überhaupt noch nichts weiß. Sie bezeichnet den Körper nicht mehr nach dem, was er sinnlich „ist“ und als was er sich uns unmittelbar sinnlich gibt, sondern sie faßt ihn als einen Inbegriff möglicher „Reaktionen“, möglicher kausaler Zusammenhänge, die durch allgemeine Regeln bestimmt werden. Die Gesamtheit dieser gesetzlichen Verknüpfungen ist es, die in der chemischen Konstitutionsformel mit dem Ausdruck des Einzelnen verschmilzt, und durch die nun dieser Ausdruck ein durchaus neues charakteristisches Gepräge erhält. Hier wie in anderen Fällen dient das Zeichen dazu, eine Vermittlung für den Übergang vom bloßen „Stoff“ des Bewußtseins zu seiner geistigen „Form“ zu schaffen. Eben weil es selbst ohne eigene sinnliche Masse auftritt, weil es sozusagen in einem reinen Äther der Bedeutung schwebt, besitzt es in sich die Fähigkeit, statt bloßer Einzelheiten des Bewußtseins seine komplexen Gesamtbewegungen zur Darstellung zu bringen. Es ist nicht die Widerspiegelung eines festen Bewußtseinsbestandes, sondern die Richtlinie einer solchen Bewegung. So ist das Wort der Sprache seiner physischen Substanz nach ein bloßer Lufthauch; aber in diesem Hauch waltet eine außerordentliche Kraft für die Dynamik der Vorstellung und des Gedankens. Diese Dynamik wird durch das Zeichen ebensowohl gesteigert, als geregelt. Schon der Leibnizische Entwurf der „Charakteristica gereralis“ hebt es als einen wesentlichen und allgemeinen Vorzug des Zeichens hervor, daß es nicht nur der Darstellung, sondern vor allem der Entdeckung bestimmter logischer Zusammenhänge dient, – daß es nicht nur eine symbolische Abkürzung des bereits Bekannten bietet, sondern neue Wege ins Unbekannte, nicht-Gegebene erschließt. Hierin bewährt sich von einer neuen Seite her die synthetische Kraft des Bewußtseins überhaupt, die sich darin äußert, daß jede Konzentration seines Gehalts, die es erreicht, ihm zugleich zum Antrieb wird, seine bisherigen Grenzen zu erweitern. Die Zusammenfassung, die im Zeichen gegeben ist, gewährt daher neben dem bloßen Rückblick immer zugleich einen neuen Ausblick. Sie setzt einen relativen Abschluß, der jedoch unmittelbar die Aufforderung zum Weiterschreiten enthält und der die Bahn für diesen weiteren Fortschritt frei macht, indem er seine allgemeine Regel erkennen läßt.

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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/61&oldid=- (Version vom 20.8.2021)