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scheinbare „Reproduktion“ für das Bewußtsein stets eine ursprüngliche und autonome Leistung zur Voraussetzung hat. Die Reproduzierbarkeit des Inhalts selbst ist an die Produktion eines Zeichens für ihn gebunden, in welcher das Bewußtsein frei und selbständig verfährt. Damit gewinnt auch der Begriff der „Erinnerung“ einen reicheren und tieferen Sinn. Um sich eines Inhalts zu erinnern, muß ihn sich das Bewußtsein zuvor auf eine andere Weise als in der bloßen Empfindung oder Wahrnehmung innerlich zu eigen gemacht haben. Hier genügt nicht die bloße Wiederholung des Gegebenen in einem anderen Zeitpunkt, sondern in ihr muß sich zugleich eine neue Art der Auffassung und Formung geltend machen. Denn jede „Reproduktion“ des Inhalts schließt schon eine neue Stufe der „Reflexion“ in sich. Schon indem das Bewußtsein ihn nicht mehr einfach als gegenwärtigen hinnimmt, sondern ihn als etwas Vergangenes und dennoch für es selbst nicht Verschwundenes im Bilde vor sich hinstellt, hat es durch dies veränderte Verhältnis, in das es zu ihm tritt, sich und ihm eine veränderte ideelle Bedeutung gegeben. Und diese tritt nun immer bestimmter und reicher hervor, je mehr die eigene Bildwelt des Ich sich differenziert. Das Ich übt jetzt nicht nur eine ursprüngliche Aktivität des Bildens aus, sondern es lernt sie zugleich tiefer und tiefer verstehen. Und damit treten die Grenzen der „subjektiven“ und der „objektiven“ Welt erst wahrhaft klar und scharf heraus. Es ist eine der wesentlichen Aufgaben der allgemeinen Erkenntniskritik, die Gesetze aufzuweisen, nach denen diese Abgrenzung sich innerhalb des rein theoretischen Gebiets, mit den Methoden des wissenschaftlichen Denkens, vollzieht. Sie zeigt, daß das „subjektive“ und das „objektive“ Sein nicht von Anfang an als starr geschiedene, inhaltlich völlig bestimmte Sphären einander gegenüberstehen, sondern daß beide erst im Prozeß der Erkenntnis und gemäß den Mitteln und Bedingungen desselben ihre Bestimmtheit gewinnen. So erweist sich die kategoriale Scheidung zwischen „Ich“ und „Nicht-Ich“ als eine durchgreifende, beständig wirksame Funktion des theoretischen Denkens, während die Art, wie diese Funktion ihre Erfüllung findet, wie also die Inhalte des „subjektiven“ und des „objektiven“ Seins sich gegen einander begrenzen, je nach der erreichten Erkenntnisstufe verschieden ist. Das „Objektive“ der Erfahrung sind, für die theoretisch-wissenschaftliche Weltbetrachtung, ihre beständigen und notwendigen Elemente – welchen Inhalten aber diese Beständigkeit und Notwendigkeit zuerkannt wird, das hängt einerseits von dem allgemeinen methodischen Maßstab ab, den das Denken an die Erfahrung anlegt, andererseits ist es durch den jeweiligen Stand der Erkenntnis, durch die

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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/39&oldid=- (Version vom 15.9.2022)