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Logik der Zeichen nicht getrennt werden. Denn das Zeichen ist keine bloß zufällige Hülle des Gedankens, sondern sein notwendiges und wesentliches Organ. Es dient nicht nur dem Zweck der Mitteilung eines fertiggegebenen Gedankeninhalts, sondern ist ein Instrument, kraft desssen dieser Inhalt selbst sich herausbildet und kraft dessen er erst seine volle Bestimmtheit gewinnt. Der Akt der begrifflichen Bestimmung eines Inhalts geht mit dem Akt seiner Fixierung in irgendeinem charakteristischen Zeichen Hand in Hand. So findet alles wahrhaft strenge und exakte Denken seinen Halt erst in der Symbolik und Semiotik, auf die es sich stützt. Jedes „Gesetz“ der Natur nimmt für unser Denken die Gestalt einer allgemeinen „Formel“ an – jede Formel aber läßt sich nicht anders denn durch eine Verknüpfung allgemeiner und spezifischer Zeichen darstellen. Ohne jene universellen Zeichen, wie sie die Arithmetik und Algebra darbieten, wäre auch keine besondere Relation der Physik, kein besonderes Naturgesetz aussprechbar. Darin prägt sich gleichsam sinnfällig das Grundprinzip der Erkenntnis überhaupt aus, daß sich das Allgemeine immer nur im Besonderen anschauen, das Besondere immer nur im Hinblick auf das Allgemeine denken läßt.

Aber dieses Wechselverhältnis bleibt nun nicht auf die Wissenschaft beschränkt, sondern geht auch durch alle anderen Grundformen geistigen Schaffens hindurch. Für sie alle gilt, daß sie die ihnen gemäße und eigentümliche Auffassungs- und Gestaltungsweise nur dadurch zur Geltung bringen können, daß sie für sie gleichsam ein bestimmtes sinnliches Substrat erschaffen. So wesentlich ist hier dieses Substrat, daß es bisweilen den gesamten Bedeutungsgehalt, den eigentlichen „Sinn“ dieser Formen zu umschliessen scheint. Die Sprache scheint sich vollständig als ein System von Lautzeichen definieren und denken zu lassen – die Welt der Kunst und die des Mythos scheint sich in der Welt der besonderen, sinnlich-faßbaren Gestalten, die beide vor uns hinstellen, zu erschöpfen. Und damit ist in der Tat ein allumfassendes Medium gegeben, in welchem alle noch so verschiedenen geistigen Bildungen sich begegnen. Der Gehalt des Geistes erschließt sich nur in seiner Äußerung; die ideelle Form wird erkannt nur an und in dem Inbegriff der sinnlichen Zeichen, deren sie sich zu ihrem Ausdruck bedient. Gelänge es, einen systematischen Überblick über die verschiedenen Richtungen dieser Art des Ausdrucks zu gewinnen – gelänge es, ihre typischen und durchgängigen Züge, sowie deren besondere Abstufungen und innere Unterschiede aufzuweisen, so wäre damit das Ideal der „allgemeinen Charakteristik“, wie Leibniz es für die Erkenntnis aufstellte, für das Ganze des geistigen Schaffens erfüllt. Wir besäßen alsdann

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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/34&oldid=- (Version vom 15.9.2022)