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der Ausgestaltung derjenigen Sprachform dar, die sich ihrer Grundbedeutung nach von allem dinglich-substantiellen Ausdruck prinzipiell scheidet, um lediglich dem Ausdruck der Synthesis als solcher, dem Ausdruck der reinen Verknüpfung zu dienen. Im Gebrauch der Kopula erst gewinnt die logische Synthesis, die sich im Urteil vollzieht, ihre adäquate sprachliche Bezeichnung und Bestimmung. Schon die „Kritik der reinen Vernunft“ hat sich in ihrer Analyse der reinen Urteilsfunktion auf diesen Zusammenhang hingewiesen gesehen. Das Urteil bedeutet für sie die „Einheit der Handlung“, durch welche das Prädikat auf das Subjekt bezogen und mit ihm zu einem Sinnganzen, zur Einheit eines objektiv bestehenden und objektiv gegründeten Zusammenhangs verknüpft wird. Und diese intellektuelle Einheit der Handlung ist es nun, die in der sprachlichen Verwendung der Kopula ihre Darstellung und ihr Gegenbild findet. „Wenn ich die Beziehung gegebener Erkenntnisse in jedem Urteile genauer untersuche – so heißt es in dem Abschnitt über die transzendentale Deduktion der reinen Verstandsbegriffe – und sie, als dem Verstande angehörige, von dem Verhältnisse nach Gesetzen der reproduktiven Einbildungskraft (welches nur subjektive Gültigkeit hat) unterscheide, so finde ich, daß ein Urteil nichts andres sei als die Art gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen. Darauf zielt das Verhältniswörtchen „ist“ in denselben, um die objektive Einheit gegebener Vorstellungen von der subjektiven zu unterscheiden. Denn dieses bezeichnet die Beziehung derselben auf die ursprüngliche Apperzeption und die notwendige Einheit derselben.“ Sage ich: ‚der Körper ist schwer‘, so will dies soviel sagen, als daß Körperlichkeit und Schwere im Objekt miteinander verbunden seien und nicht etwa bloß in der subjektiven Wahrnehmung jederzeit beisammenstehen[1]. So eng stellt sich selbst für den reinen Logiker Kant die Beziehung dar, die zwischen dem objektiven Sinn des Urteils und der sprachlichen Form der prädikativen Aussage besteht. Für die Entwicklung der Sprache aber ist freilich klar, daß sie zu der Abstraktion jenes reinen Seins, das sich in der Kopula ausdrückt, nur ganz allmählich vordringen kann. Der Ausdruck des „Seins“ als einer reinen transzendentalen Beziehungsform ist für sie, die ursprünglich ganz in der Anschauung des substantiellen, des gegenständlichen Daseins steht und an sie gebunden bleibt, immer erst ein spätes und mannigfach-vermitteltes Ergebnis. So zeigt sich in einer großen Zahl von Sprachen, daß sie eine Kopula, in unserem logisch-grammatischen Sinne, überhaupt nicht kennen und daß sie ihrer nicht bedürfen. Ein einheitlicher


  1. [1] S. Krit. d. rein. Vern., zweite Aufl., S. 141 ff.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/303&oldid=- (Version vom 22.3.2023)