Sprache darbietet[1] – so wird alsbald fühlbar, wie innerhalb ein und desselben „Sprachtypus“ die mannigfachsten Abstufungen und die weitesten Gegensätze der Formbildung möglich sind. Schleichers Versuch, das Wesen der Sprache nach dem Verhältnis zu bestimmen, in welchem in ihr Bedeutung und Beziehung zu einander stehen und danach eine einfach fortschreitende dialektische Reihe zu konstruieren, in der sich die isolierenden, die agglutinierenden und die flektierenden Sprachen wie Thesis, Antithesis und Synthesis zu einander verhalten sollten[2], litt daher unter anderem auch daran, daß hier das eigentliche Einteilungsprinzip verschoben wurde, sofern die sehr verschiedenartige Gestaltung, die das Verhältnis von ‚Beziehung‘ und ‚Bedeutung‘ innerhalb desselben Typus annehmen kann, keine Berücksichtigung fand. Im übrigen ist auch die starre Abgrenzung des flektierenden und des agglutinierenden Typus der empirisch-historischen Forschung mehr und mehr unter den Händen zerronnen[3]. In alledem bestätigt sich auch für die Sprache jenes Verhältnis des „Wesens“ zur „Form“, das sich in dem alten scholastischen Satze: forma dat esse rei ausspricht. Wie es der Erkenntniskritik nicht gelingt, den Stoff der Erkenntnis von ihrer Form derart abzuscheiden, daß beide als selbständige Inhalte erscheinen, die sich nur äußerlich miteinander verbinden, sondern wie hier beide Momente immer nur in Beziehung aufeinander gedacht und definiert werden können, so ist auch im Sprachlichen der bloße und nackte Stoff nichts als eine Abstraktion – als ein Grenzbegriff der Methode, dem keine unmittelbare „Wirklichkeit“, kein realer und faktischer Bestand entspricht.
Selbst in den flektierenden Sprachen, die den Gegensatz des stofflichen Bedeutungs- und des formalen Beziehungsausdrucks am schärfsten ausprägen, zeigt sich, daß das Gleichgewicht, das hier zwischen den beiden verschiedenen Ausdrucksmomenten erreicht wird, ein gewissermaßen labiles Gleichgewicht ist. Denn so klar sich hier im allgemeinen die kategorialen Begriffe von den Stoff- und Sachbegriffen abheben, so findet doch andererseits zwischen beiden Gebieten insofern ein ständiger Übergang statt, als es eben die Sachbegriffe selbst sind, die der Darstellung der Beziehungen als Unterlage dienen. Am deutlichsten tritt dieser Sachverhalt hervor, wenn man die Suffixe, die in den flektierenden Sprachen zum Ausdruck der Qualität und Eigenschaft, der Art und Beschaffenheit
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/294&oldid=- (Version vom 19.3.2023)