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von einem Zustand der Flexion zu einem Stadium relativer Flexionslosigkeit vor unseren Augen zu vollziehen scheint[1]. Noch bedeutsamer aber als solche geschichtliche Übergänge ist der Umstand, daß auch dort, wo die reine Isolierung sich endgültig durchgesetzt hat, dies keineswegs den Fortgang zur „Formlosigkeit“ schlechthin besagt, sondern daß sich gerade hier, in einem scheinbar widerstrebenden Material, die Gewalt der Form noch aufs deutlichste und kräftigste ausprägen kann. Denn die Isolierung der Worte gegeneinander hebt den Gehalt und den ideellen Sinn der Satzform keineswegs auf – sofern die verschiedenen logisch-grammatischen Verhältnisse der Einzelworte, auch ohne daß besondere Laute zu ihrem Ausdruck verwendet werden, in der Wortstellung aufs prägnanteste bezeichnet werden. Man könnte in diesem Mittel der Wortstellung, das das Chinesische zu höchster Konsequenz und Schärfe entwickelt hat, rein logisch betrachtet, sogar das eigentlich adäquate Mittel des Ausdrucks grammatischer Verhältnisse sehen. Denn eben als Verhältnisse, die selbst sozusagen kein eigenes Vorstellungssubstrat mehr besitzen, sondern in reinen Beziehungen aufgehen, scheinen sie bestimmter und deutlicher, als durch eigene Wort- und Lautfügungen, durch die bloße Relation derselben, die sich in der Stellung ausdrückt, bezeichnet werden zu können. In diesem Sinne hat schon Humboldt, dem im übrigen die Flexionssprachen als die Ausprägung der vollendeten, der „rein gesetzmäßigen Form“ der Sprache galten, vom Chinesischen gesagt, daß sein wesentlicher Vorzug eben in der Folgerichtigkeit bestehe, mit der hier das Prinzip der Flexionslosigkeit durchgeführt werde. Gerade die scheinbare Abwesenheit aller Grammatik habe hier die Schärfe des Sinnes, den formalen Zusammenhang der Rede zu erkennen, im Geiste der Nation erhöht – je weniger äußere Grammatik die chinesische Sprache besitze, um so mehr innere wohne ihr bei[2]. Die Strenge des Baus geht hier in der Tat so weit, daß man von der chinesischen Syntax gesagt hat, daß sie in allen wesentlichen Stücken nichts anderes, als die logisch folgerichtige Entwicklung einiger weniger Grundgesetze sei, aus denen man, rein auf dem Wege der logischen Deduktion, alle besonderen Anwendungen ableiten könne[3]. Stellt man dieser Feinheit der Gliederung andere isolierende Sprachen von primitiver Prägung gegenüber – wie z. B. unter den Negersprachen das Ewe das Beispiel einer rein isolierenden


  1. [1] G. v. d. Gabelentz, Die Sprachwissenschaft, S. 252 f.; Chines. Grammatik, S. 90 ff.; vgl. auch B. Delbrück, Grundfragen, S. 118 f.
  2. [2] Humboldt, Einleit. zum Kawiwerk (W. VII, 1, S. 271 ff., S. 304 f.).
  3. [3] v. d. Gabelentz, Chines. Grammat., S. 19.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/293&oldid=- (Version vom 19.3.2023)